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Todeseis

Todeseis

Titel: Todeseis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernward Schneider
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zu zerkratzen, aber ihre Hände gehorchten ihr nicht mehr. Sie bekam keine Luft, und ihre Bewegungen waren so heftig wie unkontrolliert; irre Bilder, die sie nicht zuordnen konnte, schossen ihr durch den Kopf, in ihren Ohren war ein Rauschen, und sie merkte, wie ihr die Sinne zu schwinden begannen. Es waren ausgerechnet ihre hochhackigen Schuhe, durch die sie zuvor am Laufen gehindert worden war, die sie retteten, als sie mit einer ihrer verzweifelten Bewegungen den Fuß des Angreifers traf, offenbar so schmerzhaft für ihn, dass er einen Moment irritiert war und die Krawatte locker ließ. Gladys bekam wieder Luft, ihre Umgebung wurde wieder klarer, und sie dachte: Tritt ihm in den Bauch. Sie war eine sportliche Frau, und es gelang ihr in einer heftigen Bewegung, das rechte Knie mit Wucht dem Krawattenwürger in den Unterleib zu rammen.
    Der Maskierte stöhnte auf und sackte zusammen; und dieser Moment reichte Gladys, die Krawatte abzustreifen und so der Schlinge zu entkommen. Sie spurtete zur nächsten Ecke, aber sie hatte den Abzweig noch nicht erreicht, da hörte sie hinter sich bereits wieder die ihr nachjagenden Schritte; der Maskierte gab noch nicht auf und verfolgte sie weiter.
    Gerade in dem Moment, als sie um Hilfe schreien wollte, tauchte eine Gestalt vor ihr auf. Es war ein Mann, dem sie direkt in die Arme lief, und, da sie stehenblieb, streckte er seine Hände nach ihr aus, sodass sie diese dankbar ergriff.
    »Was geht hier vor, Madam?«
    »Er will mir ans Leben«, stöhnte Gladys und drehte sich zu ihrem Verfolger um, ohne die Hände ihres Helfers loszulassen.
    Der Maskierte war bereits zurückgesprungen, und schon sah sie seinen Schatten am Ende des Ganges verschwinden. Gladys wusste augenblicklich, dass der Versuch, ihm nachzueilen und ihn zu stellen, vergeblich sein würde.
    »Er hat versucht, mich zu erwürgen«, keuchte sie.
    Der Mann lächelte, als nähme er sie nicht ernst.
    »Tatsächlich? Eine schöne Frau wie Sie?«
    »Schön oder nicht schön – es ist wahr! Er warf mir eine Schlinge um den Hals! Ich glaube, es war eine Krawatte!«
    »Wer war denn dieser Mann?«
    »Ich weiß es nicht! Er trug eine Maske.«
    »Eine Maske? Wie war er denn gekleidet? Sah er wie ein Passagier oder wie jemand von der Besatzung aus?«
    »Es ging alles so schnell.« Gladys zog ihre Hand zurück und griff sich an die Stirn. »Aber er sah nicht aus wie ein Heizer. Er war anständig gekleidet, ja, eher wie ein Passagier.«
    »Haben Sie denn keinen Verdacht, wer der Kerl gewesen sein könnte?«
    Sie schüttelte stumm den Kopf, dann blickte sie ihn an, um ihn genauer zu betrachten. Vom ersten Augenblick an hatte sie die Nähe des Fremden als angenehm empfunden, nicht nur weil der Mann ihr zu Hilfe gekommen war, sondern es war seine persönliche Ausstrahlung, und als sie ihn nun näher in Augenschein nehmen konnte, bestätigte sich, dass ihr erster Eindruck keine Täuschung gewesen war.
    »Warum hat dieser Mensch Sie angegriffen?«
    »Weil – ach, ich weiß es doch auch nicht.«
    Ihr Retter war ein sehr gut aussehender Mann mit dunkelblondem Haar und einem Gesicht mit ebenmäßigen Zügen. Eigentlich war er das Ideal von einem Mann, ein Mann, wie er ihr in ihren Träumen vorschwebte und wie er ihr nur selten einmal in der Wirklichkeit begegnet war. Sie hatte das Gefühl, sich kneifen zu müssen, um auszuschließen, dass sie wirklich nicht träumte. Es war fast unglaublich: Ganz plötzlich war ihr lang ersehnter Traum lebendig geworden, und sie empfand unvermittelt ein heftiges Glücksgefühl.
    Sie lächelte, und der Mann, dessen Gesicht dem ihren ganz nahe war, lächelte zurück. Die Welt strahlte auf einmal hell. Wie nahe lagen doch Glück und Unglück beieinander, ging ihr durch den Sinn. Eben noch dem Tod preisgegeben und plötzlich verliebt. Sie erschrak. Verliebt? Wie konnte sie so etwas nur denken! So schnell ging das nicht! Oder doch? Nichts war unmöglich, und hatte sie nicht vom ersten Moment dieser Begegnung an gefühlt, dass dieser Unbekannte der ersehnte Geliebte war?
    »Wie ist Ihr Name?«, fragte sie ihn. »Ich bin Gladys Appleton.«
    »Roger Carran«, gab der schöne Retter zurück.
    »Reisen Sie in der ersten Klasse?«, fragte Gladys. »Ich habe Sie noch nie gesehen.«
    Carran nickte. »Ja, in der ersten Klasse.«
    Seine muskulöse, aber schlanke und geschmeidige Gestalt fiel ihr auf, ein Mann von herrlichem Wuchs. Er hatte ein bronzefarbenes Gesicht mit hohen Wangenknochen und ein kräftiges Kinn über

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