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Todeseis

Todeseis

Titel: Todeseis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernward Schneider
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Sie wusste, dass sie praktisch jeden Mann, der Frauen liebte, herumgekriegt hätte, aber Barrett gehörte zu den wenigen, bei denen es ihr nicht gelang. Bei einem Irren versagte ihre Kunst. Sie sah ein, dass ihre Mühe vergeblich war.
    »Wer sich die unsichtbaren Mächte geneigt machen will, muss ihnen ein Opfer bringen«, sagte Barrett rau. »Wenn das Meer ein Opfer bekommt, wird es die Schiffe unserer Linie beschützen und unsere Unternehmungen segnen. Das Opfer muss ein würdiges sein – ein schönes Menschenkind wie dich nehmen die Mächte als Opfergabe gern an.«
     
    *
     
    Als Nevil Boyes das obere Deck erreicht hatte, fand er dort zahllose Menschen versammelt vor. Viele waren vollständig mit Mantel und Schal bekleidet, andere trugen unter der Schwimmweste nur Morgenmantel und Schlafanzug. Da das Schiff angehalten hatte, gab es keinen Fahrtwind mehr, der durch die Kleidung blies, keine Luftbewegung, die die Geschwindigkeit sonst verursacht hätte. Die Kälte hielt sich in erträglichen Grenzen. Die ganze Zeit über kamen Leute die Treppen herauf und vergrößerten die Menschenmenge an Deck.
    Die Titanic lag unbeeindruckt davon friedlich auf der Wasseroberfläche; bewegungslos, ruhig und nicht einmal den Schwingungen der Dünung unterworfen. Tatsächlich war auch die See so ruhig wie ein Binnengewässer. Es gab zwar ein paar kleine Wellen, die aber keine Bewegung für ein Schiff von den Ausmaßen der Titanic erzeugten.
    An Deck zu stehen, so hoch über dem Wasser, das träge an die Seiten des Schiffes schwappte, und in die Ferne zu blicken, gab Nevil für den Moment sogar ein Gefühl der Sicherheit. Es war ihm, als würde er auf einem großen Felsen mitten im Ozean stehen. Dennoch entgingen ihm nicht die Anzeichen für eine sich anbahnende Katastrophe. Der Anblick der Mannschaften, die die Rettungsboote zum Ablegen vorbereiteten; die wartenden Menschen in ihren Schwimmwesten, die ruhig dastanden und die Arbeit der Mannschaft beobachteten. Es geschah alles in Ruhe, aber die Ruhe gab es nur, weil die Menschen ganz tief in ihrem Inneren den Ernst der Lage begriffen. Anderenfalls hätten sie die Aufforderung, in die Rettungsboote zu gehen, als eine Zumutung abgelehnt, so aber, weil sie etwas ahnten, verhielten sie sich diszipliniert. Gelegentlich machte jemand einen gequälten Witz, aber meist standen die Leute da, als warteten sie auf Befehle, nach außen einigermaßen zuversichtlich, aber doch in verborgener Weise beunruhigt. Die Offiziere ließen sich nichts anmerken, ihre Anweisungen waren nachdrücklich und ernst. Von keinem von ihnen würde er eine ehrliche Antwort erhalten, falls er einen von ihnen fragen sollte, wie groß die Gefahr war, in der die Titanic sich befand. Aber er brauchte niemanden zu fragen, er wusste es selbst. Die Lage war sehr ernst.
    Acht Rettungsboote gab es auf jeder Seite. Kleine und eng zusammengeballte Gruppen von Männern schwärmten über jedes Boot, machten die Masten und die Ruderriemen klar, legten an Deck die Taue aus, steckten die Laternen an und verstauten die Büchsen mit Zwieback. Andere Männer standen an den Auslegearmen der Bootsdavits bereit, setzten die Kurbeln an und machten die Leinen klar. Einer nach der anderen traten die Kurbeln in Aktion, um die Ausleger zu drehen, und langsam schwenkten die Boote aus. Dann wurden ein paar Fuß Leine freigegeben, sodass jedes Boot auf gleicher Höhe mit dem Bootsdeck lag.
    Das erste Boot legte auf der Steuerbordseite ab, wo der erste Offizier Murdoch das Kommando hatte. Als das Boot die Reise aus dem siebten Stock in die schwarze Tiefe antrat, war es nicht einmal zur Hälfte gefüllt, und ein guter Teil der Besatzung bestand aus Männern.
    Auf der Backbordseite führte Kapitän Smith persönlich die Aufsicht. Assistiert wurde er vom zweiten Offizier Lightoller.
    »Frauen und Kinder in die Boote«, ließ er durch ein Megafon verlauten. »Die Männer bleiben zurück.«
    Lightoller ließ eines der Boote auf gleiche Höhe mit dem A-Deck bringen und befahl einigen Frauen und Kindern, hinunterzugehen, um von dort aus die Boote zu besteigen.
    Ein Matrose, zwei Stewards und ein Koch in weißer Jacke wurden als Bootsbesatzung und Ruderer eingeteilt, aber auch mit ihnen war das Boot nicht einmal zur Hälfte besetzt. Frauen und Kinder, die noch hätten einsteigen wollen, waren nicht in Sicht.
    »Warum können denn nicht auch unsere Männer einsteigen?«, bettelten einige der Frauen.
    »Kein Mann jenseits dieser Linie!«, rief Moody, der

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