Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Todeseis

Todeseis

Titel: Todeseis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernward Schneider
Vom Netzwerk:
tun, um dein verdorbenes Leben zu retten, nicht wahr?«
    Gladys konnte sich nicht erinnern, schon einmal einen solchen Hass gespürt zu haben wie in diesem Augenblick. Sollte sie frei kommen, sagte sie sich, würde sie ihn töten. Sie wusste noch nicht wie, aber sie würde es tun.
    »Es ist mein Beruf«, sagte sie. »Und wissen Sie, weshalb es mein Beruf ist?«
    »Erzähl es mir!«
    »Weil ich Spaß daran habe.«
    Der Maskierte trat näher und streckte die Hand aus, als wollte er ihre nackte Schulter berühren, doch dann ließ er die Hand wieder sinken.
    »Du scheinst ein gut gewachsener Mann zu sein«, setzte sie hinzu, um am Ball zu bleiben, »und deinen Augen sehe ich an, dass du zu starker Leidenschaft fähig bist.«
    Er nickte.
    »Sicher hätten wir viel Spaß miteinander«, sagte er, »dessen bin ich mir gewiss, aber ich weiß, dass du mich zu täuschen suchst.«
    »Nein, es ist mir ernst.«
    »So ernst wie mit Frank Jago, nicht wahr?«
    »Ja! Noch ernster! Du vergisst – oder du weißt nicht, dass ich mit Jago geschlafen habe und dass es mir großen Spaß gemacht hat.«
    »Du bist ein durch und durch verdorbenes Miststück«, fauchte er, »und obendrein eine arrogante Britin. Es reizt mich am meisten, den Willen einer arroganten Britin zu brechen.«
    »Ich bin nicht arrogant.«
    »Alle Briten sind arrogant.«
    »Und du? Bist du etwa kein Brite?«
    »Ich bin ein Londoner Junge«, sagte der Maskierte. »Aber meine Mutter war eine Deutsche, ein Hamburger Mädchen von der Reeperbahn – so eine wie du. Du erinnerst mich sogar ein wenig an sie. Die Männer liebten sie sehr, und als sie nach London kam, war sie eine der Attraktionen von Southwark. Mit 14 verließ ich sie und ging zur See, ich kam in der Welt herum und blieb kein einfacher Matrose.« Er griff hinter sich. »Aber du sollst wissen, wer ich bin«, sagte er, während er an seinem Hinterkopf herumfingerte, »die Maske war eine Vorsichtsmaßnahme, die inzwischen völlig überflüssig geworden ist.« Dann nahm er die Maske ab, und Gladys sah in das bleiche, aber nicht unattraktive Gesicht des Reeders Karl Barrett. »Mein kaufmännisches Geschick führte dazu, dass ich Eigner einer Schifffahrtslinie in Sumatra wurde, bevor ich 30 war«, fuhr er mit unbedecktem Gesicht zu sprechen fort. »Dann kam ich mit den Deutschen ins Geschäft und fand zu meinen Hamburger Wurzeln. Kurz und gut: Ich bin heute Teilhaber einer Hamburger Reederei, die den Einstieg in das Atlantikgeschäft anstrebt. Wenn ich Glück habe, werde ich sogar die White-Star-Linie in meine Holding bekommen. Ein erstes Sondierungsgespräch mit Ismay habe ich bereits geführt. Die Gesellschaft hat große finanzielle Probleme. Ich werde dafür Sorge tragen, dass die Jungfernfahrt der Titanic kein Erfolg sein wird. Meine Stunde ist gekommen. Spätestens auf der Rückreise nach Europa, die am 20. April beginnt, wird die Titanic einen Schaden erleiden. Einer Übernahme der Oberhoheit auf dem Atlantik steht nichts mehr im Wege – das einzige Hindernis bist du, mein Täubchen.«
    »Ich habe dir doch schon gesagt, wie sich dein Dilemma lösen lässt«, rief sie ihm verzweifelt zu. »Du kannst mich haben – und mich hier auf der Stelle nehmen. Wenn ich mich dir unterwerfe, hast du meinen Widerstand gebrochen – darum geht es dir doch. Deine Geschäfte interessieren mich nicht, ich betreibe, wie du weißt, mein eigenes lukratives Geschäft, und, nachdem wir Spaß miteinander hatten, kann doch jeder von uns seines Weges gehen, ohne dass wir uns noch einmal in die Quere kämen.«
    Barrett betrachtete sie amüsiert, aber das Böse in seinen Augen trat dadurch nur umso deutlicher hervor.
    »Wenn ich dich nehmen wollte, könnte ich es gegen deinen Willen tun«, sagte er, »obwohl ich zugeben muss, dass es erheblich mehr Freude macht, wenn die Frau selbst danach verlangt. Aber du überschätzt dich und deine Möglichkeiten doch sehr! Es gibt noch andere reizende Frauen deiner Art, und ich verfüge über Macht und Mittel, sie mir alle gefügig zu machen. Das heißt, ich bin nicht auf dich angewiesen, sodass ich in dieser Hinsicht Verzicht üben kann. Ich brauche dich für etwas anderes, und darauf kann ich nicht verzichten. Du bist sozusagen das Siegel, das dem Vertrag meiner Zusammenarbeit mit Astor gedeihliche Dauer verleiht. Neben den anderen Gründen, die ich dir schon nannte, ist dies vielleicht sogar der wichtigste Grund, weshalb du dem Gott des Meeres überantwortet werden musst.«
    Gladys blieb stumm.

Weitere Kostenlose Bücher