Todesengel (Gesamtausgabe)
übertölpelt, jubelte Mirjam insgeheim und hoffte jetzt nur noch, dass Fatima wirklich zu den Rächerinnen gehörte und nicht als Undercoveragentin für die Polizei tätig war.
Misstrauisch ließ sie ihren Blick schweifen, sah weit und breit nichts Verdächtiges und steckte der Orientalin unauffällig den Zettel zu, den sie auf der Fahrt zum Friedhof aus ihrer Scheide entfernt hatte. Fatima zuckte fast unmerklich zusammen, begriff aber schnell, worum es der Oberkommissarin ging und fragte sie, ob es in der Nähe eine Toilette gebe. Mirjam überlegte kurz, erinnerte sich an das Restaurant Stadionterrassen an der Südseite des Olympiastadions und schlug der Begleiterin vor, dort mit ihr ein zweites Frühstück einzunehmen. Fatima nickte als Zeichen der Zustimmung, überbrückte den Weg zum Lokal mit belanglosem Small Talk und verschwand, am Ziel angelangt, sofort auf der Damentoilette, während Mirjam einen Tisch aussuchte, von dem aus sie den Eingangsbereich gut im Blick hatte. Fatima ließ sie einige Minuten allein und sie befürchtete schon das Schlimmste, doch dann kam die Frau endlich wieder aus dem Klo heraus und formte die Finger der rechten Hand zum Siegeszeichen, strahlte dabei übers ganze Gesicht und tänzelte wie ein junges Füllen auf Mirjams Tisch zu.
„Hast du schon was ausgesucht?“, wollte die Orientalin wissen und Mirjam überlegte nicht lange, bestellte bei der schon wartenden Kellnerin zwei Garnituren Englisches Frühstück und wandte sich dann wieder Fatima zu.
„Schön, dass du gekommen ist!“, meinte sie ehrlichen Herzens und streichelte eine Weile die Hände der Fremden, bevor sie weitersprach:
„Irgendwie hatte ich dich mir anders vorgestellt, aber das ist letztlich egal! Für mich zählt nur, dass Ihr mir helfen wollt, wie ihr das im Einzelnen macht, will ich gar nicht wissen! Hauptsache, Ihr seid die Besten und ich komme endlich von meinem Trauma los!“
Fatima musterte Mirjam amüsiert und nahm den Ball auf: „Wir sind wirklich die Besten! Aber leider haben wir viele Neider, die uns am liebsten die Polizei auf den Hals hetzen würden…“
Mirjam blieb vor Schreck fast die Luft weg, doch konnte Fatima sie schnell beruhigen:
„Du musst um uns keine Angst haben! Wir sind viel zu schlau für die Ordnungshüter! Die merken nie, dass wir gegen alle möglichen Beratungsvorschriften verstoßen und professionellen Therapeuten das Geschäft verderben! Oder wirst du uns bei deinen Kollegen verpfeifen?“
„Wie sollte ich!“, empörte sich Mirjam und erzählte Fatima dann ihre erfundene Leidensgeschichte, schmückte die Story noch mit viel Fantasie aus und war fest davon überzeugt, dass die Ermittler ihr zu dem gelungenen Auftritt gratulieren würden...
50.
Becker und seine Leute gaben sich, als sie am Tag danach in einer Lagebesprechung die Aufzeichnungen vom Friedhof auswerteten, alle Mühe, aus ihnen die richtigen Schlüsse zu ziehen, waren am Ende aber immer noch uneins, ob die Schöne aus dem Morgenland angebissen hatte oder nicht.
Zwar hörten sich ihre Ausführungen so an, als ob sie Vertrauen zu Mirjam gefasst hätte und es auf der nächsten Plenarsitzung der Selbsthilfegruppe zum Schwur kommen würde, doch gab es etliche Ungereimtheiten, die vor allem Scharf und Becker misstrauisch werden ließen. Am wenigsten verstand der Hauptkommissar, dass Mirjam ohne Not und gegen jede Verabredung den Friedhof verlassen, sich so den sie observierenden Polizisten und den Kameras entzogen hatte und er wusste schon jetzt, dass er ihr, wenn alles vorbei war, für ihr Fehlverhalten gehörig den Kopf waschen würde.
„Ich halte die Sache trotz aller Bedenken für koscher“, meinte schließlich Sauerbrei, „weil es nicht den geringsten Hinweis darauf gibt, dass meine Patentochter ihre Kontaktperson gewarnt haben könnte! Einen Kassiber kann sie ihr jedenfalls nicht zugesteckt haben, dafür bürgen die Damen, die sie verkabelt und die Herren, die ihr Auto in der Nacht zum Sonntag auf den Kopf gestellt haben! Wir sollten also das zweite Treffen in der Motzstraße abwarten, bevor wir uns ein endgültiges Urteil bilden!“
Becker war der Einzige in der Runde, bei dem auch nach Sauerbreis Machtwort die Skepsis überwog, doch sah er ein, dass sich auf Intuition keine kriminalistische Arbeit aufbauen ließ und fügte sich deshalb der Mehrheit, arbeitete an den folgenden Tagen Aktenrückstände auf und hoffte wie die anderen, dass der nächste Sonntag endlich den Durchbruch bringen würde.
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