Todesengel (Gesamtausgabe)
aber dass sie ihn unter dem Vorwand, im Sterben zu liegen, von zuhause loseiste, konnte er sich beim besten Willen nicht vorstellen!
Mit klammem Gefühl bog er in die Straße ein, in der Mirjam wohnte, sah im selben Augenblick die flackernden Lichter der Einsatzfahrzeuge und wusste endgültig, dass die Verflossene keinen Spaß gemacht hatte.
Er brachte den Wagen kurz vor dem Ziel zum Stehen, kam bei diesem Manöver wegen der vereisten Fahrbahn fast ins Schleudern, legte die letzten zwanzig Meter zur Haustür im Laufschritt zurück und hastete die Treppe hoch, als wäre der Teufel hinter ihm her. Vor der offenen Wohnungstür stand ein baumlanger Polizist und versperrte ihm mit grimmiger Miene den Weg, doch hatte er zum Glück seine Dienstmarke dabei und durfte, als er sie zückte, sofort passieren.
In der Wohnung tummelten sich Feuerwehrleute und Polizeibeamte, dazu ein Mittvierziger in weißem Kittel, der sich aber nicht um die neben dem Telefon auf dem Teppichboden liegende Mirjam kümmerte. Wütend fuhr er den Mediziner an und warf ihm unterlassene Hilfeleistung vor, doch der schüttelte nur traurig den Kopf, sprach in dürren Worten vom Exitus der Selbstmörderin und an die Stelle gerechten Zorns trat augenblicklich tiefe Trauer, gepaart mit dem seinem Verhalten geschuldeten schlechten Gewissen.
„Ist sie tot?“, wollte er dennoch wissen und der Arzt nickte mitfühlend, fragte ihn, ob er der Kriminalbeamte sei, der die Feuerwehr alarmiert habe und übergab ihm, als Becker seine Identität bestätigte, mit den Worten „das ist, nehme ich an, was für Sie!“ einen beschriebenen Zettel, den Mirjam in den Händen gehalten hatte, als die Rettungskräfte sie fanden. Der Hauptkommissar schüttelte wegen der krakeligen Schrift den Kopf, fragte die Umstehenden, ob sie ihm helfen könnten und gemeinsam gelang es schließlich, den Text zu entziffern:
Lieber Vater, liebe Mutter, ich habe alles verraten, was mir heilig war und kann deshalb nicht weiterleben! Hauptkommissar Becker denkt bis jetzt, dass es sich bei der Jungfräulichen Rache um eine harmlose Selbsthilfeorganisation handelt, aber das stimmt nicht! In Wirklichkeit verbergen sich dahinter feige Mörderinnen, die Aufträge rachsüchtiger Vergewaltigungsopfer entgegennehmen und die Peiniger der Mädchen und Frauen bestialisch umbringen! Und jetzt kommt das Schlimmste: Ich bin schuld, wenn Eurem Freund Gunnar heute etwas Schreckliches zustößt! Im Grunde hat er das Ganze natürlich selbst zu verantworten, denn wenn er mich nicht, als ich sechs Jahre alt war, nach dem Zoobesuch in seiner Villa missbraucht hätte, wäre ich gar nicht auf die Idee gekommen, ihn ermorden zu lassen! Aber ich weiß natürlich, dass ich…. Ihr müsst mich auch verstehen , ich kann nicht .
alles Gute, Eu re Tochter
Becker starrte auf den Abschiedsbrief, versuchte vergeblich, zu begreifen und bat schließlich einen Polizisten, ihm sein Funkgerät auszuleihen. Der Ordnungshüter sträubte sich zunächst, lenkte aber ein, als er die Dienstmarke sah und plötzlich wirkte der Hauptkommissar wie ausgewechselt.
Alles hat seine Zeit, fuhr es ihm durch den Kopf, als er mit Mohr sprach und er würde bestimmt noch um Mirjam trauern, aber jetzt galt es, ein Gewaltverbrechen zu verhindern! Er gab dem Polizisten, der ihm das Funkgerät geliehen hatte, zu verstehen, dass er dringend einen Einsatzwagen brauchte, um zu Sauerbreis Villa zu kommen, erklärte sich damit einverstanden, dass der uniformierte Kollege ihn hin brachte und wenig später jagte der BMW des Oberwachtmeisters schon mit Blaulicht und Sirene dem Landhaus des Juristen entgegen...
56.
Debbie und ihre Freundinnen diskutierten lange darüber, ob sie auch auf Mirjams zweite Bedingung eingehen sollten und zerstritten sich dabei so sehr, dass eine Frau nach der anderen sich von der Gruppe zurückzog und schließlich nur noch Fatima, Antje, Jelena und Debbie das Fähnlein der Aufrechten bildeten. Die therapeutischen Angebote der Jungfräulichen Rache waren ohnehin schon zum Erliegen gekommen und so galt es nur noch, als die vier übriggebliebenen Verschwörerinnen sich auf den Weg zu Sauerbreis Villa machten, Mirjams Testament zu vollstrecken und danach für immer auseinander zu gehen.
„Hoffentlich hat sich Rosi nicht zu dumm angestellt!“, meinte Fatima und verärgerte mit ihrer Kleinmütigkeit Jelena, die sofort gegen hielt: „Sei nicht immer so pessimistisch! Wir haben alles so eingefädelt, dass der geile Bock Rosi für das
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