Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Todesengel: Roman (German Edition)

Todesengel: Roman (German Edition)

Titel: Todesengel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
Vom Netzwerk:
Türschloss knacken wollte.
    »Was ist denn hier los?«, rief Ingo entgeistert.
    Einer der Männer in Windjacken trat auf ihn zu. »Sind Sie Ingo Praise?«
    Ingo bejahte, und noch ehe der Mann einen Dienstausweis und das entsprechende Dokument aus der Tasche zog, begriff er, dass sie Befehl hatten, seine Wohnung zu durchsuchen.
    »Guten Abend, liebe Zuschauer«, begann er später seine Sendung. »Das Video, das ich Ihnen gestern gezeigt habe, ist offenbar noch brisanter als gedacht. Heute Nachmittag hat die Polizei meine Wohnung durchsucht, in der Hoffnung, Hinweise zu finden, wer es mir hat zukommen lassen. Ob solche Hinweise gefunden wurden, weiß ich nicht, aber sie haben jedenfalls keine Schublade undurchsucht, keine Schranktür ungeöffnet und keinen Aktenordner unaufgeschlagen gelassen. Und sie haben meinen Computer und mein Mobiltelefon beschlagnahmt.« Er zwang ein Lächeln auf sein Gesicht. »Zum Glück bin ich Junggeselle. Das heißt, die Wohnung sieht nach all dem noch immer genauso aus wie vorher.«
    Das war sein Versuch, locker und unbeeindruckt zu wirken, so, als mache ihm das alles nichts aus. Ein paar Zuschauer lachten. Es gab Applaus, der ihm in diesem Moment richtig guttat.
    Denn es machte ihm etwas aus. Dastehen und zusehen zu müssen, wie wildfremde, grimmige Männer jeden Winkel der eigenen Wohnung durchwühlten, war eine erstaunlich unangenehme, entwürdigende Erfahrung. Ausgeraubt zu werden konnte sich nicht viel anders anfühlen, nur, dass niemand eine Waffe auf ihn gerichtet hatte. Aber sie hatten Waffen dabeigehabt, kurzläufige schwarze Pistolen in Lederetuis, die sie am Gürtel trugen, und wozu, wenn nicht, um sie zu benutzen, falls sich jemand der Staatsgewalt widersetzte? Ein Protokoll hatte er auch unterschreiben müssen, und sie hatten ihm eine Quittung über die beschlagnahmten Geräte ausgehändigt: Wenn einen der Staat ausraubte, hatte eben alles seine Ordnung.
    »Was bleibt, sind Fragen«, fuhr Ingo fort, erfüllt von einer wohltuenden Wut, die sich hier, in der Dunkelheit und Sicherheit des Studios, entfalten durfte, ja, sollte. »Wer ist die Person auf dem Video? Von welchem Vorfall hat sie berichtet? Und warum wird uns – der Öffentlichkeit – dieser Fall verschwiegen? Sind es wirklich ermittlungstaktische Gründe , wie der Staatsanwalt beharrlich behauptet, oder hat die Polizei etwas zu verbergen? Bin ich der Einzige, der den Eindruck hat, dass es den staatlichen Organen eher darum geht, die Gewalttäter vor dem Racheengel zu schützen als uns Bürger vor den Gewalttätern?«
    Applaus. Buh-Rufe. Wahrscheinlich würde Rado nachher wieder motzen, weil diese Anmoderation nicht abgesprochen war. Na und? Sollte er.
    Sein erster Gast war ein Mann, der nichts dagegen hatte, als »Rocker« bezeichnet zu werden, und auch so aussah: Er trug Lederklamotten voller Aufnäher und Anstecker, schwere Stiefel und einen wild wuchernden, weitgehend ergrauten Schnauzbart. Ja, sagte er, er stehe auf Rockmusik, Heavy Metal in allen Variationen, seit jeher. Motorrad fahre er auch, klar, in ganz Europa sei er schon gewesen, in Nordafrika, im Nahen Osten, meistens zusammen mit einer Clique, oft mit Zelt und gern mit Freundin, wenn er gerade eine hatte. Wobei, inzwischen gehe er auf die fünfzig zu, eine Familie werde er wohl nicht mehr gründen. Von Beruf sei er Elektriker – ideal, weil man damit überall auf der Welt willkommen sei. Er hätte Häuser in Marokko verkabelt, Kühlschränke auf dem Sinai repariert, Kurzschlüsse in Portugal behoben und Garagentoröffner in Lettland installiert: Was sich halt so ergeben habe.
    »Und dann hat sich unlängst ergeben, dass Sie einem Mann das Leben gerettet haben«, schlug Ingo den Bogen.
    Der Mann, der nur »Stockes« genannt werden wollte, hob die breiten Schultern. »Jo.«
    »Die Rede ist von dem Vorfall, der sich am 23. Juni gegen zweiundzwanzig Uhr im U-Bahnhof Zünicke abgespielt hat«, erklärte Ingo, an das Publikum gewandt. Er deutete auf die Bildschirmwand. »Viele von Ihnen werden sich an dieses Video erinnern, das damals durch die Medien ging.«
    Diese Videoeinspielung war natürlich mit Rado abgesprochen und genehmigt. Es war ein Zusammenschnitt von Aufnahmen zweier Überwachungskameras: In der ersten Sequenz sah man, wie drei Jugendliche einen Mann, der gerade die Treppe hinabgehen wollte, von mehreren Seiten zugleich attackierten, schlugen und die Stufen hinabstießen. In der zweiten Sequenz sah man sie am unteren Ende der Treppe, halb

Weitere Kostenlose Bücher