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Todesengel: Roman (German Edition)

Todesengel: Roman (German Edition)

Titel: Todesengel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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gell?«
    »Es gibt ein psychologisches Experiment«, erzählte Ingo. »Wenn man Videoaufnahmen von Passanten auf der Straße macht, von ganz normalen Leuten, die davon nichts wissen, und diese Aufnahmen Gefängnisinsassen zeigt, die zum Beispiel wegen Raubüberfall verurteilt sind, und fragt, wen sie sich als Opfer aussuchen würden, dann zeigen die unabhängig voneinander fast immer auf dieselben Personen. Zu über neunzig Prozent, habe ich einmal gelesen.«
    Kevin hob die Augenbrauen. »Cool.«
    »Das bedeutet, man strahlt es irgendwie aus, dass man sich nicht wehren wird. Dass sie es mit einem machen können. Es muss eine Frage der Körpersprache sein, sagen die Psychologen.«
    Kevins Gesicht verdüsterte sich wieder. »Heißt das, ich bin selber schuld, dass die mich schlagen?«
    »Nein, nein«, beeilte sich Ingo zu versichern. »Das heißt, dass man an diesem Punkt ansetzen muss. Man muss … ja, man muss sich dessen eben bewusst sein. Dass das irgendwie ein Kreislauf ist.« Er merkte, dass er ins Schwimmen kam. »Wenn man ausstrahlt, dass sie’s mit einem machen können, dann machen sie’s mit einem, und danach strahlt man das noch stärker aus. Und immer so weiter. Soweit ich verstanden habe, setzt Krav Maga auch an der Stelle an. Wie man auftritt, sich fühlt, welche Einstellung man hat.«
    Er hatte Kevin nicht überzeugt, er sah es. Der Junge wirkte, als wäre er am liebsten sofort wieder umgekehrt.
    »Wart’s einfach ab«, meinte Ingo hilflos. Er konnte nur hoffen, dass David Mann es besser machen würde als er.
    Als sie sich der Krav-Maga-Schule näherten, spürte Ingo ein Pochen in der Nase oder bildete es sich zumindest ein. Er bemühte sich, ruhig zu bleiben und gleichmäßig zu atmen. Nicht noch so eine Blutorgie, nicht heute!
    Kevin dagegen sah sich interessiert um, wirkte auf einmal beinahe neugierig. Als sie die Treppe hinaufstiegen, ging er voraus. Wie sich herausstellte, war er nicht der Einzige, der neu anfing: Ein gutes Dutzend Jungs in seinem Alter standen ähnlich unschlüssig herum, Sporttaschen wie unliebsame Anhängsel in der Hand, und die meisten waren genau die gleichen Hänflinge wie Kevin. Dann tauchte David Mann auf, in Begleitung von ein paar älteren Jungen in Trainingsanzügen, die aber nicht die für dieses Alter sonst übliche Arroganz Jüngeren gegenüber an den Tag legten, sondern eine angenehme, lockere Freundlichkeit. »Alles halb so wild«, meinte einer so nebenbei zu einem der Neuankömmlinge, und man konnte deutlich sehen, wie allein diese Bemerkung alle ein Stück entspannte.
    »Hi, schön, dass ihr da seid«, begrüßte David Mann die Neuen. »Und dass ihr so viele seid. So macht es mehr Spaß. Ähm – wir machen das immer so, dass wir euch erst mal sämtliche Räume zeigen. Ihr sollt euch ja auskennen. Anschließend erzähle ich ein bisschen was über Krav Maga und wie wir es anstellen werden, dass sie euch nicht mehr auf der Nase herumtanzen. Dann umziehen und los geht’s. Okay?«
    Allgemeines Nicken ringsum. Während die älteren Jungs den Neuen zeigten, wo sie ihre Taschen abstellen konnten, kam David Mann zu Ingo, schüttelte ihm die Hand. »Und? Gut heimgekommen neulich?«
    Ingo nickte, erzählte, dass er zumindest das Unterhemd gerettet hatte. »Und das T-Shirt … na ja. War eh alt.«
    David Mann grinste. »Sie sind doch jetzt ein Fernsehstar. Das wird sich ja hoffentlich finanziell lohnen.«
    »Oh je«, entfuhr es Ingo. »Das ist gerade meine kleinste Sorge.«
    »Schön, wenn man das von sich sagen kann. Übrigens habe ich vom Herrn Staatsanwalt nichts mehr gehört. Er scheint sich die Sache noch einmal überlegt zu haben.«
    »Gut«, sagte Ingo. »Und schade, denn ich hätte Sie gerne noch einmal in der Sendung gehabt.«
    David Mann lächelte. »Aber lieber nicht aus so einem Grund. Mal sehen. Jetzt muss ich …«
    Ingo nickte, trat einen Schritt rückwärts, Richtung Ausgang. »Klar. Verstehe. Viel Glück.«
    Er gehörte hier nicht hin. Einen Moment lang hatte er es vergessen. Im Hintergrund war Gelächter zu hören, das Trappeln von schnellen Schritten, das Geräusch von Bällen, die schwer auf den Boden prallten, und wieder Gelächter.
    Er atmete auf, als er draußen war, betastete noch einmal seine Nase. Alles okay. Gut. Zeit, heimzufahren und die Sendung heute Abend vorzubereiten.
    Doch als er zu Hause ankam, war das Treppenhaus voller Männer in dicken Windjacken, und vor seiner Wohnungstür kniete ein Schlosser im blauen Overall, der gerade sein

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