Todesengel: Roman (German Edition)
haben es mit einem Onion-Routing-Netzwerk russischer Hacker zu tun. Sprich, mit anonymer E-Mail.«
»Im Prinzip dasselbe wie bei dem ersten Laptop von dem Journalisten«, meinte Enno fachmännisch. »Dem kaputten Ding.«
Ortheil sah die drei Männer verständnislos an. »Das Video kann doch nicht aus Russland gekommen sein?«
»Die Russen bieten das als Dienstleistung an«, erklärte Enno. »Unter Freunden. Wenn man jemanden kennt, der jemanden kennt …«
»Was heißt das konkret?«, fragte Ambick dazwischen. »Kann man den Absender nun ermitteln oder nicht?«
»Keine Chance«, sagte der IT-Spezialist.
»Wenigstens ungefähr? Zumindest, von wo aus das Ding losgeschickt worden ist?«
Die Computerleute schüttelten die Köpfe, als übten sie fürs Synchronschwimmen. »Nicht den geringsten Anhaltspunkt«, meinte der IT-ler, den der Revisor angeschleppt hatte. »Die Mail könnte von einem anderen Planeten kommen, und wir würden es nicht merken.«
Ambick dachte an seinen Vater und wie stolz der jetzt auf seinen Sohn gewesen wäre. Bloß, dass sein Vater hiervon nie etwas erfahren würde.
»Aber das Video stammt aus unserer Datenbank«, knurrte Ortheil. »Das steht ja wohl außer Zweifel, oder?«
Jemand klopfte an der Tür. Niemand reagierte. Es war wahrscheinlich eine der Putzfrauen.
»Klar stammt das von uns«, sagte Enno. »Das haben wir allerdings auch schon vor der Haussuchung bei dem Journalisten gewusst.«
Die Tür wurde geöffnet, ganz behutsam. Ein Vollmondgesicht spähte durch den Türspalt, gefolgt von einer massigen, von einem formlosen grauen Pullover verhüllten Gestalt. Definitiv niemand von der Putzkolonne; die trugen alle Overalls mit Ausweisschildern an der Brust.
»Hauptkommissar Ambick?«, fragte der Mann schüchtern. »Entschuldigen Sie die Störung. Ich habe da was, das Sie sich, glaube ich, ansehen sollten.«
Ambick, der für heute genug Nervenkitzel gehabt hatte, rieb sich die Stirn. »Sie sind auch von der Kriminaltechnik, oder?«
»Kerner«, wisperte der Mann. »Materiallabor.«
»Okay. Können wir das morgen früh erledigen? Wir haben hier nämlich gerade –«
»Entschuldigen Sie«, unterbrach ihn der Mann im grauen Pullover. Man sah ihm an, dass ihm sein Insistieren höchst unangenehm war. »Aber ich glaube, wenn ich jetzt ja sage, würden Sie sich morgen früh ärgern. Ganz bestimmt.«
Ingos nächster Gast war ein pensionierter Richter namens Hinrich Kastell, ein hagerer Mann mit einer dicken Hornbrille und einer Aura äußerster Humorlosigkeit.
»Wie darf ich mich oder andere gegen einen rechtswidrigen, gewalttätigen Angriff verteidigen?«, war Ingos erste Frage.
Der Richter neigte den ergrauten Kopf leicht zur Seite. »Ganz einfach: Mit allen Mitteln, die Ihnen in diesem Moment zu Gebote stehen und die Ihnen geeignet scheinen, den Angriff abzuwehren.«
»Er hier«, sagte Ingo und deutete auf den Rocker, »hat einen Angriff beendet, indem er den Angreifern seine Pistole gezeigt hat. Die er nicht hätte besitzen dürfen.«
»Bringen Sie jetzt nicht zwei Dinge durcheinander«, mahnte der Richter. »Er hatte keine Erlaubnis, die Pistole zu besitzen – deswegen musste er sie dann ja abgeben. Das war anders nicht möglich. Wenn die Justiz Kenntnis von einem illegalen Sachverhalt erlangt, muss sie tätig werden. Aber da er die Pistole, illegal oder nicht, in diesem Moment besaß, durfte er sie zur Nothilfe verwenden, und das hat er ja auch, soweit ich das sehe, korrekt gehandhabt, indem er deren Anwendung zunächst angedroht hat.«
»Hätte er auch schießen dürfen?«
»Wenn sich die Angreifer von der Androhung nicht hätten abhalten lassen, weiterzumachen, ja.«
»Was wäre nicht mehr korrekt gewesen?«
»Zum Beispiel, ihnen hinterherzuschießen, als sie geflüchtet sind. Sehen Sie«, sagte der Richter auf eine so bestimmte Art, wie wohl nur ein Richter sprechen konnte, »wenn Ihnen in einer Kneipe jemand sein Bier über den Kopf schütten will und Sie schlagen ihm das Glas aus der Hand, dann ist das Notwehr. Wenn Sie ihm aber, nachdem er Ihnen sein Bier über den Kopf geleert hat, im Gegenzug Ihr eigenes Bier über den Kopf schütten, dann ist das Rache. Notwehr ist erlaubt, Rache nicht. Ganz einfach.«
»Was ist mit der Waffe selber? Welche Bedingungen hätte er erfüllen müssen, um sie legal mit sich zu führen?«
»Zunächst benötigt man, um eine Handfeuerwaffe legal erwerben zu dürfen, eine Waffenbesitzkarte.«
»Wie erhält man die?«
»Man muss sie bei
Weitere Kostenlose Bücher