Todesengel: Roman (German Edition)
entfernt von der Art Panzertür, die er sich gerade gewünscht hätte.
Klar. Eine Wohnung war keine Festung. Die hier schon gar nicht. Das Einzige, was sie einigermaßen sicher machte, war, dass sie weit oben lag, im fünften Stock, wo man nicht einfach eine Scheibe einschlagen konnte.
Aber die Tür. Ein fester Tritt …
Er war hier nicht sicher. Das brauchte er sich gar nicht einzubilden.
Mann. Sein Herz raste. In seinem Bauch vibrierte es. Wie sich das anfühlte! Blanke Angst.
Ingo ging Richtung Fenster, hielt kurz davor inne. Was, wenn der Kerl schon da draußen auf der Lauer lag, mit einem Gewehr womöglich, nur darauf wartete, dass er sich zeigte? Nein, besser, er blieb weg davon. Was hätte er auch sehen können?
Er fuhr sich mit den Händen übers Gesicht, verharrte einen Moment mit geschlossenen Augen. Er schlotterte innerlich. An Ruhe war nicht zu denken. Scheiße. Aber er musste irgendwas tun!
Und dann, ganz allmählich und dadurch umso grauenerregender, dämmerte ihm, dass er sich ja nicht mal mehr an die Polizei wenden konnte. Nicht nach dieser Vorstellung heute.
Sein Mund war auf einmal scheißtrocken.
In die Küche. Das erste Glas, nach dem er griff, fiel ihm aus der Hand, zerdepperte im Spülbecken. Was für ein Krach. Wie ein Schuss. Das zweite Glas überlebte, er bekam es unter den Hahn, bekam es gefüllt und zum Mund, verschüttete die Hälfte über seinen Anzug, sein Hemd, schluckte die andere Hälfte gierig hinunter.
Da. Die Weltkarte. Das schwarze Kreuz in Somalia.
So weit musste man gar nicht reisen, wenn man es nur dumm genug anfing.
Er stellte das Glas ab, kümmerte sich nicht um die Scherben in der Spüle, tappte zurück zum Telefon und wählte Rados Nummer. Er brauchte drei Anläufe, weil er sich jedes Mal vertippte.
Nichts. Es klingelte, aber es ging niemand ran. Nicht mal seine Voicebox.
War ja klar gewesen. Ingo legte wieder auf. Es tat gut, ein bisschen zornig auf Rado zu sein, das lenkte ab, dämpfte die Panik. Auf einmal war er müde, todmüde, erschöpft wie von einem Marathonlauf oder einem Tag im Bergwerk. Er schaffte es nicht mal mehr bis zum Sessel, setzte sich einfach auf den Boden, im Anzug, im teuren, edlen Designeranzug, egal.
Das Licht. Das Licht brannte. War das gut? Keine Ahnung, aber vielleicht besser, er machte es aus. Ingo streckte sich nach dem Lichtschalter, und genau in dem Augenblick, in dem es dunkel wurde, klingelte es wieder.
Er erstarrte in der Bewegung. Was jetzt? So vorsichtig, als könne ihn das Gerät beißen, beugte er sich über das Telefon, holte tief Luft, hob ab.
»Hallo«, drang aufgekratzt-lustig die Stimme von Evelyn Sassbeck aus dem Hörer. »Jetzt dachte ich gerade, Sie sind bestimmt schon im Bett.«
Ingo musste schlucken, ehe er antworten konnte. »Nein«, sagte er. »Bin ich nicht.«
»Ist eigentlich auch nicht so wichtig. Ich wollte Ihnen nur erzählen, wie begeistert mein Schwiegervater von dem Fernsehauftritt war. Die ganze Fahrt über hat er mir quasi von Ihnen vorgeschwärmt. Am liebsten wäre es ihm gewesen, Sie wären mitgekommen; er wollte, dass ich noch bleibe und mit ihm zusammen eine Flasche Wein trinke. Aber das wär mir dann doch zu spät geworden. Es ist eh schon spät, ich …« Sie lachte verlegen auf. »Da sehen Sie mal, wie Ihre Sendung wirkt. Normalerweise wäre ich mit der U-Bahn zurückgefahren, aber jetzt hab ich mir lieber ein Taxi geleistet.«
»Gut«, sagte Ingo mühsam.
Stille. Einen Moment lang dachte Ingo, die Verbindung sei abgerissen, doch dann fragte Evelyn: »Sie klingen seltsam. Ist irgendwas?«
Ingo holte zittrig Luft. »Ich habe gerade einen Drohanruf erhalten.«
Er erzählte, was passiert war. Von den zweiundzwanzig Anrufen ohne Nachricht. Von der gefährlich klingenden Stimme. Was sie gesagt hatte. Es tat gut, es jemandem zu erzählen. Jemandem, der hörbar Anteil nahm.
»Wie schrecklich«, meinte Evelyn erschüttert. »Wie fühlen Sie sich denn jetzt?«
»Weiß nicht.« Ingo sah sich um, in seiner Wohnung, die in tiefer Dunkelheit lag, nur umrisshaft erkennbar im Widerschein der Straßenbeleuchtung, die durch die Fenster rieselte. »Irgendwie heimatlos. Schon gestern diese Hausdurchsuchung war … also, man fühlt sich nach so etwas nicht mehr richtig daheim. Und jetzt? Ich glaube, ich bleib nicht hier, sondern such mir ein Hotelzimmer.«
»Wollen Sie vielleicht bei mir übernachten?«, bot Evelyn an. »Sie müssten halt mit meiner Couch vorliebnehmen. Aber die soll sehr bequem sein,
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