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Todesengel: Roman (German Edition)

Todesengel: Roman (German Edition)

Titel: Todesengel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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bewaffneter Raub, was ihm endlich einmal eine Strafe einbringt. Arrest – ganze vier Wochen. Neun Tage nach der Entlassung wird er schon wieder mit Drogen geschnappt.«
    Er zog eine andere Karte. »Dardan Ademi hatte ebenfalls eine lange Vorgeschichte, was Gewalttaten anbelangt. Er hat mehrfach Videos ins Internet gestellt, wie er mit Freunden jemanden verprügelt hat, und hat sich auf seiner Facebook-Seite damit vor aller Welt gebrüstet. Ein einziges Mal ist er deswegen verurteilt worden – zu einer sechsmonatigen Strafe auf Bewährung. Verschiedene Anklagen wegen Diebstählen und Drogendelikten wurden nicht weiter verfolgt. Eine Prügelei in einer Disco, bei der er einem Gleichaltrigen den Unterkiefer gebrochen hat, brachte ihm eine weitere Strafe ein: vierzig Stunden Arbeit in einem Altenheim. Die er nie abgeleistet hat, weil er zu den vereinbarten Terminen angeblich immer krank war.« Ingo steckte die Karte weg und sah Ortheil an. »Ich kann nicht finden, dass das alles für eine kalte Gesellschaft spricht. Die Gesellschaft ist nicht kalt – jedenfalls nicht zu Tätern. Nur zu deren Opfern.«
    »Genau!« Erich Sassbeck fuchtelte mit der Hand. »Die Polizei hat versagt und die Justiz genauso!«
    Ortheil furchte die Stirn. »Ich glaube nicht, dass ich mir das anhören muss.«
    »Sie haben davon angefangen, die Schuld einer angeblich kalten Gesellschaft zuzuschieben«, sagte Ingo scharf. »Aber wenn ich so etwas wie diese Vorgeschichten lese, fällt mir eher das Wort Samthandschuhe ein. Unsere Justiz scheint es geradezu darauf abgesehen zu haben, Intensivtäter möglichst früh wieder auf die Bevölkerung loszulassen. Unsere Gesellschaft benimmt sich wie Eltern, die ihre Kinder mit leeren Drohungen erziehen. Jeder kennt solche Eltern. Jeder weiß, dass Inkonsequenz keine Erziehungsmethode ist, die funktioniert. Dass man die Kinder mit so einem Verhalten geradezu ermutigt, Regeln zu missachten. Der Staat macht sich lächerlich bei dieser Art, mit Straftätern umzugehen. Und derweil tut der Racheengel das, was der Staat tun sollte : Er droht Gewalttätern ihrerseits Gewalt an.«
    Ortheil schüttelte den Kopf. »Ich sage nicht, dass Gewalttäter nicht bestraft werden sollen. Drehen Sie mir doch nicht die Worte im Mund herum! Ich verlange aber, dass dabei die geltenden Gesetze angewendet werden, und die sehen nun mal keine Todesstrafe vor! Deswegen müssen wir gegen diesen Racheengel vorgehen – um die staatliche Ordnung aufrechtzuerhalten und damit die Grundfesten unserer Zivilisation.«
    »Zivilisation? Was verstehen Sie darunter?«, fragte Ingo, der spürte, dass irgendetwas mit ihm durchging, das er nicht mehr bremsen konnte. »Zu viel Herrenparfüm zu verwenden?«
    »Jetzt werden Sie persönlich. Das ist billig.«
    »Persönlich werden Sie schon die ganze Zeit. Seit die Sache losgegangen ist, lassen Sie keine Gelegenheit aus, mich runterzumachen und zu schikanieren«, erwiderte Ingo.
    Vielleicht war es tatsächlich das Parfüm, das ihn auf die Palme brachte. Oder der Anblick dieses gelackten Mannes, von dem Selbstgerechtigkeit ausging wie radioaktive Strahlung von Radium. Wahrscheinlich hätte Ingo seinen Ärger trotzdem für sich behalten, hätte nichts gesagt, wäre da nicht das Studio gewesen, dunkel, geschützt, abgeschlossen, das ihn ermutigte, das ihn alles sagen ließ, was in ihm war. Und so sagte er, an die Zuschauer gewandt: »Meine Damen und Herren, nicht dass ich Ihnen das wünsche – aber stellen Sie sich vor, Sie würden heute Abend auf dem Nachhauseweg überfallen, bedroht, körperlich attackiert. Vertrauen Sie darauf, dass die Polizei Sie davor schützt?«
    Er wies auf Ortheil, der etwas sagen wollte, doch der Tontechniker war auf Zack, hatte dem Staatsanwalt das Mikro schon abgedreht.
    Das Publikum murrte bei diesen Worten skeptisch, genau so, wie Ingo es erwartet hatte.
    »Und angenommen, in so einer Situation würde ein Engel auftauchen, sei es mit einem Flammenschwert, sei es mit zwei Pistolen, und diejenigen, die Sie und Ihre Frau, Sie und Ihren Mann, völlig grundlos angegriffen und verletzt haben, töten – fänden Sie das nicht gerecht ?« Ingo stand auf, schritt auf die Kamera zu. Die Uhr zeigte nur noch ein paar Augenblicke Sendezeit an. »Und angenommen, alle Angreifer wüssten, was sie riskieren – nämlich den Tod: Glauben Sie nicht, dass dann – und nur dann – solche Vorfälle einfach aufhören würden?«
    Beifall. Tosend. Ein Aufnahmeleiter, der die letzten Sekunden mit den

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