Todesengel: Roman (German Edition)
hab ich mir sagen lassen.«
Wow! Ein Lichtblick. Ganz kurz kam Ingo der Gedanke, dass er sie dadurch gefährden konnte, doch er drückte ihn rasch weg und sagte: »Vielleicht war es ja auch nur ein dummer Streich. Und es ist alles halb so wild.«
»Ja. Aber das können Sie nicht wissen«, erwiderte Evelyn besorgt.
Ich will Ihnen nicht zur Last fallen . Hätte es sich gehört, jetzt so etwas zu sagen? Außerdem wollte er ihr Angebot ja annehmen, wollte es so unbedingt, dass es fast wehtat. »Ja«, sagte er mit dem Gefühl, einen völlig leeren Kopf zu haben. »Doch. Ich würde … wirklich gerne …«
Er brachte es nicht heraus. Zum Glück half sie ihm. »Also, abgemacht«, erklärte sie resolut. »Ich bin in, na, vielleicht einer Viertelstunde zu Hause, dann muss ich noch die schlimmste Unordnung beseitigen … Geben Sie mir eine halbe Stunde, okay?«
Wahrscheinlich war es tatsächlich nur ein dummer Streich gewesen. Ingo kam sich fast albern vor, deswegen so einen Aufstand zu machen.
Andererseits hatte ihm der Vorfall schlagartig Möglichkeiten eröffnet, von denen er bisher nur geträumt hatte.
»Okay«, sagte er glücklich. »In einer halben Stunde.«
Sollte er sich noch umziehen? Rasch in etwas Bequemeres, Trockeneres schlüpfen? Aber dann würde es nicht mehr so aussehen, als sei er vor einer unmittelbaren Gefahr geflüchtet. Außerdem war ihm nicht entgangen, wie Evelyn anerkennend die Brauen gehoben hatte, als sie sich im Sender getroffen hatten; offenbar gefiel ihr der Anzug an ihm. Wäre doch dumm gewesen, diesen Pluspunkt aufzugeben. Vor allem, wenn man bedachte, wie armselig seine sonstige Garderobe war. Und den Anzug würde er morgen früh ohnehin in die Reinigung bringen müssen, da kam es auf ein paar Knitter mehr auch nicht an.
Gut. Damit war das geklärt. Er machte Licht, schnappte seine Umhängetasche, stopfte seinen besten Schlafanzug hinein, frische Unterwäsche und den Waschbeutel. Das war es, oder? Ja. Also los.
Als er aus der Haustüre trat, zog dichter Nebel auf. Er schloss den Reißverschluss seiner grauen Jacke, die leider überhaupt nicht mit seinem Anzug harmonierte. Daran musste er noch arbeiten.
Auf jeden Fall hatte der Nebel den Vorteil, dass ihn ein eventueller Verfolger nicht sehen konnte, nicht allzu gut jedenfalls. Ingo wandte sich in Richtung Dominikstraße, absichtlich. Er würde einen Umweg gehen, zickzack durch die Straßen, immer mal wieder in stilleren Gassen stehen bleiben und horchen, ob ihm jemand folgte.
Er schrak zusammen, als ganz unvermittelt ein Mann vor ihm auftauchte, aus einem Hauseingang kommend. Aber es war nur ein grummeliger, graubärtiger alter Türke, den Ingo oft im Kiosk sah, wie er die Hürriyet kaufte. Er warf Ingo nur einen unwilligen Blick zu und ging ohne ein Wort davon.
Der Nebel wurde dichter, schien von den Dächern herabzufallen in der Absicht, ihn vom Rest der Welt abzuschneiden. Immer wieder hielt Ingo an, um zu lauschen. Manchmal glaubte er, Schritte hinter sich gehört zu haben, die im selben Moment verstummten, in dem er stehen blieb. War es Selbsttäuschung? Echos seiner eigenen Schritte vielleicht? Einmal riss ein Windstoß den Nebel kurz auf, und Ingo erblickte ein Auto, in dem jemand zu sitzen schien. Er trat darauf zu, doch es war nur eine Kopfstütze aus hellem Leder, die einen ein Gesicht sehen ließ.
Irgendwann wusste er nicht mehr, wo er war, stand vor Straßenschildern, deren Namen ihm nichts sagten. Er kannte die Umgebung nicht wirklich gut, nur den Weg zwischen seiner Wohnung, der U-Bahn und dem Laden an der Ecke. Er ging nach Gefühl weiter, die ungefähre Richtung musste stimmen, und kam tatsächlich in der Brunnerstraße heraus, nur an einer anderen Stelle als erwartet. Als er vor ihrem Haus ankam und klingelte, fiel ihm ein, dass er nicht auf die Uhr gesehen hatte, als er losgegangen war, und folglich nicht wusste, ob die halbe Stunde schon vorüber war, um die sie ihn gebeten hatte.
»Bin ich zu früh?«, fragte er, als sie öffnete, leicht abgekämpft wirkend.
Sie schüttelte den Kopf. »Genau richtig. Kommen Sie herein.«
Er folgte der Einladung, stellte die Tasche ab und sah zu, sich seiner grauen Jacke möglichst schnell zu entledigen.
»Ich habe gerade angefangen, uns was zu essen zu machen«, sagte Evelyn auf dem Weg in die Küche. »Ich hoffe, Sie haben Hunger?«
»Oh, gern.« Es war still in der Wohnung bis auf leise Klaviermusik aus dem Wohnzimmer. »Was ist mit Kevin?«
»Der ist schon im Bett. Das
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