Todesengel: Roman (German Edition)
zack, bumm, und lässt niemanden an dich heran.« Theo starrte ihn böse an. »Ich glaub dir nicht, Ulrich.«
»Dann lass es«, meinte Ulrich Blier. »Es ist eh vorbei.«
Ich wahre die Fassung, bis ich unter der Dusche stehe, doch dann kommen die Tränen, unsichtbar, mehr zu spüren als zu sehen. Ich beuge mich vor, lehne den Kopf schwer gegen die tristen, weißen Kacheln, lasse das heiße Wasser über mich hinweglaufen. Ich werde hier nie mehr weggehen. Ich werde so stehen bleiben, bis das Wasser mich aufgelöst hat.
Tränen sind dazu da, Schmerz aus der Seele zu spülen. Doch mein Schmerz ist so riesig, dass er nicht kleiner wird, egal, wie viele Tränen fließen.
Ich verschwende mich. Das ist es. Ich verschwende mich an Unwürdige. Mein Leben ist eine einzige Geschichte der Verschwendung.
In den alten Rohren gluckert es. Es klingt, als schluchzten sie mit mir. Ich spüre, dass ich mein Vertrauen verloren habe, dass ich aus der Einheit gefallen bin, dass ich nicht mehr dem Weg des Kriegers folge, sondern mich verirrt habe.
Irgendwann bewege ich mich doch wieder. Greife nach dem Duschgel. Sein Duft nach Blumen, nach Frühling überwältigt mich, ruft Erinnerungen wach, die jetzt gerade unerträglich sind. Ich drehe das Wasser noch heißer, will mich mit dem Brennen auf meiner Haut ablenken. Hunger quält mich. Ich habe ihn schon vergessen geglaubt, aber er ist immer noch da, gibt nicht auf.
Die Hitze und der Dampf lassen meine Beine zittrig werden. In mir dreht sich alles. Jetzt nicht stürzen. Ich fühle mich schwach. Habe Angst.
Ich bin nicht länger im Zustand der Gnade. Es wird alles enden. Niemand wird es verhindern können. Und alle Tränen können nicht den größten Schmerz wegspülen, den es gibt: Ein Leben zu leben, das nie einen Sinn hatte.
29
Am Donnerstagmorgen raffte sich Ambick endlich dazu auf, die Witwe Florian Holis zu besuchen. Er hatte es die ganze Zeit vor sich hergeschoben, weil er sich gesagt hatte, dass es ohnehin nichts bringen, sondern nur alte Wunden aufreißen würde. Da aber die Gespräche mit den übrigen Beteiligten von damals bisher wenig Verwertbares ergeben hatten, war es unumgänglich, der Vollständigkeit halber sozusagen. Weil es sonst in den Akten schlecht aussehen würde.
Elisabeth Holi wohnte in einem der schlangenförmig gebogenen Hochhäuser auf dem Fuhlsberg, die vor zehn Jahren gebaut worden waren, in einer kleinen Dreizimmerwohnung fast in der obersten Etage. »Seit ich in Rente bin«, erklärte sie Ambick. »Ich habe mir die Wohnung gleich gesichert, als noch welche zum Verkauf standen, und vor drei Jahren dann Eigenbedarf angemeldet. Ging problemlos. Die Hausverwaltung hier arbeitet sehr gut. Wirklich gut. Ich bin sehr zufrieden.«
Man merkte ihr an, dass sie sich bemühte, alles positiv zu sehen, und nur ja keinen Zweifel daran aufkommen zu lassen, dass sie es tat. Sie war klein, grauhaarig und kompakt, und wie sie Ambick da gegenübersaß, mit untergeschlagenen Beinen auf ihrem Sofa, hatte sie etwas von einem weiblichen Buddha. Der dünne Tee, den sie ihm serviert hatte, passte dazu, der Geruch nach Räucherstäbchen, der die Wohnung erfüllte, und die großen Mandala-Bilder, die an den Wänden prangten, ebenfalls. Eine kleine, sanft lächelnde Messingstatue des echten Buddha auf dem Tischchen neben ihr lud zum Vergleich ein.
»Florian und ich haben uns in der Firma kennengelernt. Liebe am Arbeitsplatz, wie man so sagt. In unserem Fall ging es gut aus; wir waren sehr glücklich, das darf man bei allem nicht vergessen. Man muss dankbar sein für das, was einem geschenkt wird, sage ich mir immer. Es bringt nichts, sich mit anderen zu vergleichen oder sich zu grämen, was hätte sein können. Es war eben nicht. Das, was ist, ist, und das, was nicht ist, ist nicht. Das lehren alle großen Meister, egal, mit welchem man sich beschäftigt.«
Elisabeth Holi hatte sich offenbar mit einigen davon beschäftigt. Ihre Regale quollen über von Büchern mit Titeln wie Depression als Chance zur Befreiung , Die Kraft des Verzeihens oder Seelengeheimnisse der Liebe .
»Letzten Endes war es ein Glück, dass ich den Job hatte, als das passiert ist. Wenn wir Kinder gehabt hätten, was hätte ich denn gemacht? Das bisschen Hinterbliebenenrente hätte nicht gereicht, und so eine Lebensversicherung hält auch nicht lange vor. Der Staat lässt einen ziemlich alleine, wenn einem so etwas zustößt, das muss man schon sagen. Sie haben Florian nachträglich das
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