Todesengel: Roman (German Edition)
reingelassen.«
»Und was ist mit den Nachtübungen, von denen dieser … Wie hieß er? Irgendwas mit Schere.«
»Schermann.«
»Ja, genau. Hat Blier riskiert, bei einem Alarm einfach nicht da zu sein?«
»Das war der Trick. Dieser Theo Schwarz gehört dem Bataillonsstab an und wusste deswegen, wann Übungen angesetzt waren.«
»Und wieso hat er seinen Kameraden jetzt verpfiffen?«
»Weil er mit Mord nichts zu tun haben will. Blier hat ihm gegenüber behauptet, er hätte eine Affäre. Aber Schwarz sagt, das glaubt er ihm inzwischen nicht mehr.«
»Wieso nicht?«
»Blier ist die letzten beiden Male verletzt zurückgekommen. Er hätte ausgesehen wie nach einem Kampf, hat Schwarz gesagt.«
»Verstehe«, meinte Ambick. »Was sagt der Staatsanwalt dazu?«
»Der ist schon unterwegs zur Richterin wegen eines Haftbefehls.«
»Ein Haftbefehl gleich.«
»Verdunkelungsgefahr.«
»Okay.« Ambick suchte seine Taschen nach dem Autoschlüssel ab. »Ich leg jetzt auf und komme so schnell wie möglich. Aber vorher versuche ich noch, Ortheil zu erreichen. Bis nachher.«
»Viel Glück«, meinte Enno skeptisch.
Als er den Staatsanwalt endlich an der Strippe hatte, hielt der den Haftbefehl schon in der Hand. »Die Tinte ist sozusagen noch feucht«, erklärte er mit grimmigem Triumph.
»Ich hab kein gutes Gefühl dabei.« Da. Die Schlüssel. »Das könnte übereilt sein.«
»Oder Handeln in letzter Minute«, sagte Ortheil. »Der Mann gehört einer Eliteeinheit an, die sich seit Wochen auf einen geheimen Einsatz im Ausland vorbereitet. Wenn wir ihn uns heute nicht schnappen, kann er morgen weg sein – in Afghanistan, in Somalia, was weiß ich, wo. Das Risiko gehe ich nicht ein.«
Ambick schloss auf, setzte sich hinters Steuer. »Aber sollten wir nicht zumindest abwarten, was die Vernehmung von Alexander Wenger –?«
»Ach was«, unterbrach ihn Ortheils Replik. »Was können ein paar amerikanische …?« Der Rest des Satzes ging in Verzerrungen unter.
Er stieg wieder aus. »Hallo? Sind Sie noch dran?«
»… Ambick? Die Verbindung war gerade unterbrochen.«
»Ja, das ist hier ganz übel. Dabei sollte man meinen, am Berg … Ich komme einfach so schnell wie möglich.«
»Von Fuhlsberg runter, um die Zeit? So lange will ich nicht warten«, beschied ihn der Staatsanwalt. »Ich nehme Kader und ein paar Männer von der Bereitschaft und fahre los.«
Irgendwie erwischte ihn das jetzt kalt. »Ich wäre wirklich gern dabei. Der erste Eindruck und so.«
»Verständlich, aber ich fürchte, die Situation erfordert rasches Handeln.« Man konnte über das Telefon den Sturmschritt hören, in dem Ortheil durch hallende Gänge marschierte. »Ich stelle Ihnen frei, uns zu folgen; vielleicht reicht es ja noch. Wir fahren auf alle Fälle so schnell wie möglich los.«
Die Sache entglitt ihm. »Gut. Dann breche ich jetzt auf.«
»Bis später«, sagte der Staatsanwalt und legte auf.
Verdammt. Damit war es endgültig Ortheils Fall. Ambick stopfte sein Telefon in die Tasche, stieg wieder ein und ließ den Motor aufheulen. Er hatte gerade große Lust, von einem Streifenpolizisten wegen zu schnellen Fahrens angehalten zu werden.
Leider fand sich dazu keine Gelegenheit. Als er die Fuhlsberger Straße herabkam, sah er schon von Weitem, dass auf der Stadtautobahn Stau herrschte, in beide Richtungen.
Victoria frühstückte an diesem Morgen ausgiebig und vitaminreich, frisierte sich sorgfältig und wählte ihre Garderobe mit mehr Bedacht als gewöhnlich. Dann legte sie die Tabletten bereit, stellte ein Glas Wasser daneben. Diesmal würde sie höchstens drei nehmen, vielleicht sogar nur zwei. Mal sehen.
An Arbeiten war natürlich nicht zu denken. Sie setzte sich in ihren Lesesessel, von dem aus sie die Wanduhr im Blick hatte, und dachte darüber nach, was sie Peter alles sagen musste. Es war still im Haus, aber es war eine gespannte Stille, so, als gäbe es irgendwo hoch oben im Gebälk eine große Feder, die jemand über Nacht aufgezogen hatte und die jetzt, vibrierend vor Kraft, auf den Moment der Entladung wartete. Die Heizung zischte, was heute klang wie das Abbrennen einer Zündschnur.
Dann, als es so weit war, trat sie ans Flurfenster und beobachtete die Straße. Der Briefträger hatte auch seine Gewohnheiten, genau wie sie. Da, sie sah ihn schon den Gehsteig herabkommen. Herr Gellert. Seit zehn Jahren kam er, ein stämmiger, gemütlicher Mann, der in dieser Zeit eine Menge Haare verloren hatte, aber nie seine gute Laune, nicht
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