Todesengel: Roman (German Edition)
registriert, der Ausschau hält nach Zeichen, die ein Eingreifen erfordern. Ich bin eins mit allem, ein Krieger, der zu allem bereit ist – bereit, zu gehen, wohin zu gehen erforderlich ist, bereit, zu tun, was nötig ist.
Nicht ich bin es, der meine Schritte lenkt, vielmehr geschehen sie, folgen dem Fluss der Dinge, dem Fluss der Unvermeidlichkeit. Erreiche ich eine Kreuzung, brauche ich mich nur umzusehen: Einer der Wege wird eine Nuance heller leuchten als die anderen, wird mich locken, und dann weiß ich, dass er der Weg ist, den ich gehen muss.
In anderen Momenten wieder spüre ich, dass ich warten muss. Dann verharre ich, im Schatten meist, reglos, nicht wahrnehmbar, lasse die Musik durch mich hindurchströmen, die aus Türen von Bars oder aus den offenen Fenstern vorbeifahrender Autos dringt, lasse mich von dem Strom aus Stimmen, Gelächter, Geschrei und Streit umspülen, der die Stadt erfüllt, gebe mich dem Geruch der Dönerbuden und Bratwurststände hin, dem Duft nach Pommes frites und Bier, Zigarettenrauch und Autoabgasen, all das, und verharre. Weiter geschieht nichts. Es ist nur Zeit, stehen zu bleiben, also bleibe ich stehen. Ich habe keine Erwartungen daran, was geschehen wird, erhoffe nichts, fürchte nichts, wünsche mir nichts. Ich bin nur eins mit allem, ein Werkzeug, ein Instrument des göttlichen Willens.
Und dann, irgendwann, geschieht es. Ich höre etwas. Weit weg, viel zu leise für die Ohren normaler Menschen, kaum auszumachen in der Kakofonie einer Großstadt – doch ich vernehme deutliche Laute, die von Gewalt zeugen, von Schmerz, Geräusche von Faustschlägen auf menschliche Körper, von Fußtritten gegen menschliches Fleisch, das Knacken von Knochen, das Platzen von Haut, das Keuchen von jemandem, dem ein Schlag die Luft aus dem Leib treibt.
Ich folge diesen Lauten. Sie sind das Signal, das den Krieger wachruft. Ich gehe nicht zu schnell, ich gehe nicht zu langsam, ich gehe genau im richtigen Tempo, um rechtzeitig da zu sein, wo ich gebraucht werde.
Die Geräusche führen mich zu einer Sackgasse, die voller Mülleimer und Gerümpel steht. An ihrem hintersten Ende prügeln drei schlanke Gestalten auf jemanden ein, der sich nicht mehr wehren kann, der nur hilflos jammernd die Arme vor den Kopf hält und jeden Moment zu Boden gehen wird. Ich höre gekeuchte, hasserfüllte Ausrufe, die die Faustschläge begleiten, die hellen Stimmen von Jugendlichen. Ich ziehe die beiden Pistolen aus dem Halfter und betätige den Schalter, der meinen Mantel aufleuchten und meine Perücke länger werden und hell erstrahlen lässt, dann trete ich raschen Schrittes auf die Schläger zu, die Rache Gottes in Person.
Der Mann sieht mich kommen, reißt die Augen auf, erzittert vor Ehrfurcht und Hoffnung. Die Schläger sehen mich nicht, obwohl mein Kostüm mittlerweile so hell strahlt, dass ihre Umrisse Schatten zu werfen beginnen. Ich hebe die Pistolen auf die Höhe ihrer Köpfe, die Finger an den Abzügen.
Ich fühle keinen Hass, keinen Zorn, kein Bedauern. Ich fühle überhaupt nichts. Ich bin innerlich kalt und leer, eine Flöte, auf der das Schicksal selber seine Melodie der Unausweichlichkeit spielt. Es wird geschehen, was geschehen muss. Ich bin nur das Werkzeug dazu.
Jetzt merken die drei Schläger, dass etwas nicht stimmt, und fahren erschrocken herum.
Es sind Mädchen .
Ich, eben noch im Begriff zu schießen, verharre. Genau wie sie. Sie sind sechzehn Jahre alt, höchstens. Eine ist strohblond, eine hat braune Locken, eine hat dunkle Haut. Alle drei sind Opfer der Mode, haben sich in schrille, zweifellos teure Klamotten gezwängt, in denen sie sich spätestens in einem halben Jahr nicht mehr blicken lassen können, weil dann schon wieder andere Scheußlichkeiten angesagt sein werden. Sie stehen erstarrt, schauen mich an wie das Kaninchen die Schlange, trauen ihren Augen nicht – aber sie haben keine Angst. Sie glauben nicht daran, dass ich sie erschießen werde. Das unterscheidet sie von männlichen Jugendlichen in ihrem Alter.
Es ist ein Moment außerhalb der Zeit. Ich erkenne auf einmal den Mann, auf den sie eingeprügelt haben, erinnere mich sogar an seinen Namen: Bernd Pochardt. Er ist älter als damals im Gerichtssaal, als ich ausgiebig Gelegenheit gehabt habe, ihn anzustarren. Er wirkt aufgedunsen, regelrecht verfallen. Ein Wrack. Ein Loser.
Er jedoch erkennt mich nicht.
Ich trete noch ein Stück näher, hebe die Pistolen noch ein Stück an, setze einen der Läufe auf die Stirn der
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