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Todesengel: Roman (German Edition)

Todesengel: Roman (German Edition)

Titel: Todesengel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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Bundesverdienstkreuz verliehen« – sie wies auf eine Wand, wo es, unauffällig gerahmt, hing –, »aber das war es dann. Für den Prozess gegen die Täter und deren Haft hat der Staat weitaus mehr Geld ausgegeben, als ich an Entschädigungen oder Hilfen bekommen habe. Das mitzukriegen war schon ziemlich …« Sie hielt inne, atmete tief ein und aus, lächelte. »Wissen Sie, warum ich diese Wohnung liebe? Weil ich von hier aus den Himmel sehen kann. Die meiste Zeit sehe ich nichts anderes. Nur den Himmel. Das ist sehr wohltuend.«
    »Weil die Welt alles andere ist als das?«, fragte Ambick und warf einen Blick aus dem Fenster. Heute war der Himmel rauchgrau und undurchdringlich, so, als habe es noch nie blauen Himmel gegeben.
    »Oh, die Welt ist eigentlich schön«, sagte sie. »So wunderbar. Ich bin viel gereist, danach, habe viele wunderbare Erlebnisse gehabt … Wir Menschen sind es, die die Welt zu einem schrecklichen Ort machen. Weil wir so verblendet sind. Nicht sehen, worauf es ankommt im Leben. Weil wir das Leben selbst gering schätzen. Schauen Sie, ich habe Ihnen gerade gesagt, dass es ein Glück für mich war, dass Florian und ich keine Kinder hatten. Aber was für eine Welt ist das, in der es Glück bedeutet, keine Kinder zu haben? Heute … Ja, ich weiß, es bringt nichts, mit der Vergangenheit zu hadern, aber die Vorstellung, ich hätte jetzt welche … große Kinder, erwachsen wären sie längst, hätten vielleicht schon selber welche … Wie gesagt.« Sie lächelte wieder, obwohl es ihr spürbar mehr Mühe bereitete, je länger das Gespräch dauerte. » Eure Kinder sind nicht eure Kinder. Sie sind die Söhne und Töchter der Sehnsucht des Lebens nach sich selber. Das ist von Khalil Gibran, kennen Sie den?«
    »Ich habe den Namen schon mal gehört«, räumte Ambick ein.
    »Ein arabischer Dichter. Ein weiser Mann. Wenn wir Kinder wirklich so sehen könnten! Stattdessen betrachtet man Kinder als Störenfriede, als künftige Renten- und Steuerzahler, als Arbeitskräfte oder Arbeitslose … Kein Wunder, dass manche um sich schlagen. Wenn sie spüren, da ist gar kein Platz für sie, sie sind nicht willkommen, werden nicht gebraucht …«
    Ihr Blick verlor sich. Auf dem Balkon produzierte ein Windspiel, angestoßen von einer kleinen Böe, sphärische Klänge.
    »Haben Sie von dem Mann gehört, den die Medien Racheengel nennen?«, fragte Ambick.
    Elisabeth Holi kehrte zurück in die Realität. Sie nickte, lächelte nicht mehr. »Ich weiß nicht, was ich darüber denken soll. Ein Mann, der die tötet, die Unschuldige angreifen … Wenn ich mir vorstelle, so jemand hätte damals –« Sie holte Luft, als hätte sie das Atmen vergessen. »Aber was bringt das, sage ich mir dann. Wir müssen verzeihen. Das ist der Schlüssel. Verzeihen.«
    »Und?«, fragte Ambick behutsam. »Haben Sie den Tätern verziehen?«
    Jede Ähnlichkeit mit dem Buddha, der immer lächeln konnte, unberührt von allem Leid und Schmerz in der Welt, war nun verschwunden. »Ich versuche es«, flüsterte Elisabeth Holi. »Ich versuche es.«
    Ambick ließ ein wenig Zeit verstreichen, ehe er fortfuhr. »Wir haben Grund zu der Annahme, dass es Verbindungen gibt zwischen dem Fall damals und –«
    Sein Telefon klingelte. Ganz ungünstiger Zeitpunkt. Er konnte förmlich sehen, wie die Witwe sich, verschreckt von diesem unerbittlichen Eindringen der Welt in ihr Refugium, innerlich zurückzog.
    »Entschuldigung«, sagte er und zerrte das verdammte Ding aus der Tasche. Wie hatte er bloß vergessen können, es auszuschalten? »Ja?«
    »Sorry«, vernahm er Ennos Stimme kratzig und wie aus weiter Ferne. »Ich hätte dich nicht gestört, wenn es nicht wirklich wichtig –«
    »Ja. Will ich hoffen. Sag schon.«
    »Jemand von diesem Truppenübungsplatz hat sich gemeldet. Das Alibi von Ulrich Blier ist geplatzt.«
    Das Hochhaus, in dem Elisabeth Holi wohnte, war der reinste Abschirmkäfig, der ideale Wohnort für Leute mit Angst vor Elektrosmog: kein Mobilempfang im Hausflur, keiner im Fahrstuhl, keiner in der Eingangshalle. Erst auf dem Parkplatz konnte Ambick wieder telefonieren.
    »Ein gewisser Theo Schwarz hat sich gemeldet, ein Oberfeldwebel, wenn ich das richtig verstanden habe«, berichtete Enno. »Er behauptet, Ulrich Blier hätte den Stützpunkt in allen fraglichen Nächten verlassen und sei immer erst in den frühen Morgenstunden zurückgekehrt. Dieser Schwarz hat ihn jeweils durch einen unbewachten Nebeneingang raus- und wieder

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