Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Todesengel: Roman (German Edition)

Todesengel: Roman (German Edition)

Titel: Todesengel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
Vom Netzwerk:
»Keine Ahnung, was ich denke.« Zurück zum Stuhl. »Auf jeden Fall warten wir, bis wir mit Ortheil gesprochen haben.« Vielleicht funktionierte sein Gehirn bis dahin auch wieder.
    »Okay«, meinte Enno und fuhr fort, geräuschvoll auf seine Tastatur einzuhacken.
    Ambick schaltete seinen Computer ein, starrte vor sich hin, während der alte Kasten hochfuhr. Die Luft im Raum war muffig wie immer, aber heute störte es ihn. Genau wie das impertinente Gluckern und Pfeifen der Heizkörper.
    Endlich konnte er seine Mails abrufen. Eine darunter stammte von einem Absender namens SAPD: aus Texas, tatsächlich! »Ganz schön fix, die Amis«, murmelte er und deutete, als Enno aufschaute, auf seinen Schirm. »Der Bericht über die Vernehmung von Alexander Wenger.«
    »Und?«
    »Ja, langsam«, meinte Ambick. »Ist alles in Englisch. Das geht bei mir nicht so schnell.«
    Er begann zu lesen. Enno tippte nicht weiter, sah ihm neugierig zu. »Sie haben ihn gar nicht angetroffen, nur seinen Kompagnon«, resümierte Ambick, unsicher, ob da wirklich das stand, was er zu verstehen glaubte. »Die Firma der beiden ist vor einem halben Jahr abgebrannt. Im Suff abgefackelt von diesem Sidney Westham. Wenger ist vor einem Monat verschwunden, hat einen Mantel und eine Perücke mitgehen lassen, die als Demonstrationsobjekte für Kunden gedacht waren, sowie zwei Makarow-Pistolen.«
    »Klingt verdammt so, als ob das unser Mann wäre«, meinte Enno.
    Ambick schaute auf. »Wenn du im Ausland wärst, allein, beruflich gescheitert und noch dazu krank, wohin würdest du gehen?«
    »Nach Hause.«
    »Seine Eltern haben gesagt, sie hätten schon ewig nichts mehr von ihm gehört.«
    »Vielleicht decken sie ihn.«
    »Glaub ich nicht. Dann wären es die besten Lügner, denen ich je begegnet bin.« Ambick holte sein Notizbuch heraus, blätterte zurück. »Aber Wenger hat eine Schwester. Seine Mutter hat mir die Adresse gegeben, warte … Hier. Theresa Wenger, geschiedene Diewers. Wohnt im Stadtteil Unterthalerried, arbeitet im Ringhospital als Krankenschwester.«
    »Auch nicht gerade der nächste Weg«, meinte Enno.
    Ambick griff nach seiner Jacke. »Auf. Die fragen wir mal nach ihrem Bruder.«
    Er erwachte und fühlte sich hell, klar, wie gereinigt. Und zugleich so zerbrechlich, als habe sich sein Körper in Porzellan verwandelt. Ein Hochseilartist, dachte er, musste sich so fühlen.
    Er betastete den Verband an seinem Arm, streichelte ihn. Er begriff jetzt, was die Ereignisse der vergangenen Nacht ihn lehren wollten: dass die Zeit gekommen war, andere Wege zu gehen. Dass der Pfad des Kriegers von nun an in Neuland führte.
    Ungewöhnliche Stille herrschte. Der Himmel jenseits der Fenster war grau und konturlos. Ein gesegneter, zeitloser Augenblick.
    Ein Glas Wasser stand auf dem niedrigen Tisch neben dem Bettsofa. Er griff danach, nahm einen Schluck, stellte es zurück und legte sich auf den Rücken, wartete, bis es ganz in ihm versickert war. Dann der nächste Schluck, immer so weiter, bis das Glas leer war.
    Mehr nicht. Nicht vor dem Ritual.
    Er stand bedächtig auf, kramte in seinen Sachen nach dem Rest Yucca-Wurzel, der ihm geblieben war, ging damit ins Bad, um zu duschen. Keine Seife. Nichts, was Duftstoffe enthielt. Eine der wichtigsten Regeln.
    Als er zurückkam, saß seine Schwester im Sessel vor dem Fernseher, in ihrem Nachthemd noch, mit ihrem Kaninchenblick und ihren ungekämmten Haaren. Sie sah ihn mit einer Mischung aus Trotz und Besorgnis an. »Willst du mir nicht erzählen, was los war?«
    »Jemand hat geschossen, und der Schuss hat mich gestreift. Das ist alles.«
    Sie atmete geräuschvoll. Er verstaute die Yucca-Wurzel wieder, setzte sich auf das Bett.
    »Alex – wie lange soll das noch so weitergehen?«, fragte sie schließlich.
    Er lächelte sanft. »Nicht mehr lange. Keine Sorge.«
    Dann begann er mit dem Ritual. Er bat Theresa nicht, zu gehen. Er wusste, dass sie bleiben würde.
    Entkleidet bis auf seine Unterhose, fegte er den freien Platz in der Mitte des Zimmers mit einem kleinen Reisigbündel. Nicht, weil das Zimmer schmutzig gewesen wäre, sondern weil es ein Teil des Rituals war, etwas, das man bedächtig und voller Hingabe vollziehen musste. Er holte die geschnitzten Stöcke aus Zedernholz hervor, mit ihren Verzierungen, die die Schlange symbolisierten, den Jaguar und den Kojoten, und legte sie im Sechseck auf den Boden, ein Tipi darstellend, dessen Öffnung nach Osten wies. Er setzte sich hinein, mit dem Rücken nach

Weitere Kostenlose Bücher