Todesengel: Roman (German Edition)
wurde, müde und schwer. »Es wäre besser, du gehst zu einem Arzt.«
»Du bist mein Arzt.«
»Im Ernst.«
»Das ist mein Ernst.«
Er trat vor sie hin, nahm sie in den Arm, und wie immer erschrak sie, wie dünn er geworden war.
»Weißt du«, sagte er leise, »ich hab dir lange nicht verziehen, dass du nicht versucht hast, mehr aus dir zu machen. Ich hätte Robert eine reinhauen können, jedes Mal. Aber inzwischen … heute … heute frage ich mich, ob es überhaupt etwas zu erreichen gibt im Leben.«
»Red nicht so«, bat sie.
»Ich hör schon auf. Ich muss sowieso schlafen.«
Er gab sie frei, bewegte sich schwankend auf sein Bett zu. Er zog sich aus, ohne sich vor ihr zu genieren, ein knochiges Gespenst, und schlüpfte in seinen Schlafanzug. Dann legte er sich hin, zog die Decke über sich, lächelte ihr zu und schlief ein, vor ihren Augen. Sie wartete eine Weile, fühlte, wie ihr kalt wurde, und löschte endlich das Licht mit dem eigentümlichen Gefühl, ihn damit zu verraten.
32
Am Freitagmorgen verschlief Ambick. Er hatte sich am Abend zuvor noch die Boxweltmeisterschaft in Manila angesehen, es war spät geworden wegen des Zeitunterschieds zwischen Deutschland und den Philippinen, und schließlich war er vor dem Fernseher eingeschlafen.
So kam er nachlässig rasiert und verspätet im Büro an und hatte das Gefühl, neben sich zu stehen. Erst mal einen Kaffee. Der zwickte im Magen, machte ihn aber auch nicht wacher.
»Na, den Weg gefunden?«, begrüßte ihn Enno. Er war heftig am Tippen. Seine Tastatur klang lauter als sonst, dröhnte einem in den Ohren. »Guten Morgen.«
Ambick wollte den Gruß erwidern, bloß war irgendwas mit der Deckenlampe. Er musste sie lange anstarren, ehe der Groschen fiel. »Jemand hat eine neue Röhre eingesetzt!«
»Yep. Vor einer halben Stunde. Es geschehen Zeichen und Wunder.«
Ambick ließ sich auf seinen Schreibtischstuhl sinken, behutsam die Kaffeetasse balancierend. »Gibt’s was Neues?«
Enno unterbrach das Getippe endlich. »Schwer zu sagen. Wir haben eine Meldung vom Kriminaldauerdienst über eine Schlägerei heute Nacht im Parkhaus Mitte, die in eine Schießerei ausgeartet ist. Ein Verletzter – nichts Gravierendes, er ist schon wieder aus dem Krankenhaus entlassen worden –, ein Dutzend beschädigte Autos.«
»Und kein Racheengel, der eingegriffen hat.«
»Das wissen wir nicht.«
Ambick rieb sich das Gesicht. »Parkhäuser sind doch mit Überwachungskameras ausgestattet, oder?«
»Die Objektive der Kameras auf dem fraglichen Parkdeck waren alle zugeklebt.«
»Und keiner in der Zentrale hat’s gemerkt.«
»Personaleinsparungen.« Enno griff nach einer Mappe, die oben auf seinem Stapel lag. »Aber es gibt Aufnahmen von einem Mann in einem schwarzen Mantel, der die Ausfahrtrampe hochgeht.« Er zog zwei großformatige Ausdrucke hervor und schob sie ihm über den Tisch.
Ambick beugte sich vor, studierte die Bilder. »Hast du das mit den Videos aus der Passage verglichen? Dominikstraße?«
»Könnte derselbe sein.«
»Weiß Ortheil schon davon?«
Enno schüttelte den Kopf. »Der hat sich heute auch noch nicht blicken lassen. Kann sich vielleicht nicht entscheiden, welche Krawatte er nehmen soll.«
»Vielleicht ist er Boxfan, und keiner hat’s geahnt.« Ambick ließ sich wieder nach hinten sinken, nippte an seinem Kaffee. »Wir besprechen das auf alle Fälle erst mit ihm, ehe wir uns den Zeugen vornehmen. Was weiß man über den?«
»Moment.« Enno blätterte in der Mappe. »Das war ein gewisser Professor Doktor Markus Neci, wohnhaft in Blankenhagen –«
»Neci?«, entfuhr es Ambick.
»Ja. Spricht man das nicht so aus? Ein c, gefolgt von einem i, ist ein tsch, wenn mich nicht alles –«
»Ich meine, dass ein Professor Neci Gast in der Sendung von diesem Praise war. Anwalt der Opfer . City-TV.«
Enno holte geräuschvoll Luft. »Darfst du mich nicht fragen. Den Müll, den die senden, tu ich mir nicht an.«
»Doch, ich glaube. Letzte Woche, Dienstag oder Mittwoch.« Wenn nur sein Hirn endlich mal anfangen würde zu arbeiten! Ambick stemmte sich hoch, trat vor die Stadtkarte. »Welches Parkhaus, hast du gesagt?«
»Parkhaus Mitte. Das am Schwandt-Ring.«
»Schwandt-Ring …« Er fuhr die dicke gelbe Linie, die für vierspurige Schnellstraßen stand, mit dem Finger nach, bis er das Parkhaus gefunden hatte. »Das liegt nur dreihundert Meter vom City-Media-Areal entfernt.«
»Und du denkst, das ist kein Zufall?«
Ambick ließ den Arm sinken.
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