Todesengel: Roman (German Edition)
Samstagmorgen nach Spannwitz rausgefahren und von dem er mittags so übel gelaunt zurückgekommen war. Erfuhr man das auch mal.
Justus Ambick hatte Mühe, der Diskussion zu folgen. Irgendwie schien sein Gehirn für heute schon abgeschaltet und keine Lust mehr zu haben, sich mit Argumenten auseinanderzusetzen. Seine Gedanken schweiften ab, verloren sich in Erinnerungen an seine Ausbildung. An der Polizeihochschule war ihm dieses Missverhältnis im Strafgesetzbuch, das Eigentumsdelikte so unverhältnismäßig hart bestrafte, verglichen mit Delikten gegen Leib und Leben, auch schon unangenehm aufgefallen. Er hatte den Dozenten darauf angesprochen. Dessen Erklärung war gewesen, dass mehr oder weniger alle Gesetzbücher Kontinentaleuropas vom »Code Napoleon« abstammten und deswegen dazu neigten, die ethischen Vorstellungen jener Zeit zu tradieren. »So ähnlich, wie sich in unserem Gencode noch Reste der Spezies finden lassen, von denen wir abstammen«, hatte er gemeint.
Ob das wohl stimmte? Ambick trank seinen Tee, genoss das angenehme Gefühl, dass sein Kopf sich leerte. Dieser Moderator, dieser Ingo Praise, war irgendwie interessant. Schrecklich nervös auf der einen Seite, aber gleichzeitig schien er … ja, regelrecht zu brennen . Der verhandelte da nicht irgendwas, der war beim Thema seines Lebens.
Und dann, aus heiterem Himmel, der Gedanke: Was, wenn dieser Journalist Kontakt zum Racheengel hatte?
Ambick stellte die Teetasse ab. Wie wahrscheinlich war das? Schwer zu sagen. Der Mann, den sie suchten, musste irgendwo in der Stadt leben. Dass ihm jetzt quasi eine Sendereihe gewidmet wurde, konnte ihm nicht entgehen, dazu war der Stadtsender zu populär.
Er rieb sich das Kinn, befühlte die Bartstoppeln, die ihm im Lauf des Tages nachgewachsen waren. Ein verrückter Gedanke – aber einer, über den es sich lohnte nachzudenken.
Und falls Praise noch keinen Kontakt zum Racheengel hatte – vielleicht konnte man das ja provozieren ?
Ein Rausch. Ingos Hemd klebte ihm am Leib. Von überallher Gesichter, ausgestreckte Hände, lobende Worte. Gut gemacht. Klasse. Super gelaufen. Sogar Rado war da, schien zufrieden. »Heißer Ritt«, sagte er, schlug ihm auf die Schulter. »Da hast du was losgetreten.«
Ingo verstand nicht, was Rado meinte, es war ihm auch egal. Es war überstanden. Leute umspülten ihn, er trieb mit ihnen. Jemand drückte ihm ein Glas in die Hand, Sekt. Gelächter, Leute in Overalls, die Kabel schleppten, die Maskenbildnerin, die an seinem Gesicht herumtupfte.
Seine beiden Gäste. Ingo bedankte sich. Svende nickte geistesabwesend, murmelte nur: »Ich hoff bloß, ich krieg jetzt keinen Ärger.« David Mann gab Ingo seine Visitenkarte und bot ihm an, zu einem Probetraining zu kommen, kostenlos selbstverständlich. »Einführungskurse sind donnerstags. Oder Sie rufen einfach an. Ich mach auch gern ein Einzeltraining mit Ihnen.«
Ingo drehte die Karte um. Auf der Rückseite stand das Kursprogramm. Es gab Kurse für Männer, Frauen, Jungen, Mädchen, für Einsteiger und Fortgeschrittene. Nachmittags für Jugendliche, abends für Erwachsene. Allgemeines Fitnesstraining gab es auch. »Ich weiß nicht, ob das was für mich ist.«
»Meinem Gefühl nach wäre es sogar genau das Richtige für Sie«, erwiderte David Mann. Klar, dass er so etwas sagte. Geschäftstüchtig wirkte er schon.
»Halten Sie mich auf jeden Fall auf dem Laufenden, ob die Staatsanwaltschaft Sie anklagt«, fiel Ingo ein. »Das wäre ein Anlass, Sie noch einmal in die Sendung zu holen.«
David Mann lächelte. »Okay. Aber ich glaube es eher nicht. In dem Punkt hat Ihr anderer Gast den Nagel auf den Kopf getroffen: Die sind alle feige.«
Ingo schwebte förmlich aus dem City-Media-Gebäude. Im letzten Moment war ihm eingefallen, die Produktionsassistentin um zwei Eintrittskarten für die nächsten Sendungen zu bitten, für Evelyn und ihren Sohn. »Ich geb Ihnen gleich fünf«, hatte die Frau gesagt und ihm die Karten rausgekramt. »Das sind Vorzugskarten. Damit kommen Ihre Gäste auf jeden Fall rein und kriegen einen Platz in der ersten Reihe. Sie müssen nur eine Viertelstunde vor Öffnung da sein.«
Die U-Bahn nach Hause war halb leer. Ingo saß da, schwer und grenzenlos zufrieden. Der Schweiß, der ihm zwischendurch ausgebrochen war – und nicht zu knapp –, war längst wieder getrocknet; er fühlte sich einfach großartig. Müde, aber glücklich. Im Einklang mit sich und der Welt, im Einklang mit allem. Es war, als seien die
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