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Todesengel: Roman (German Edition)

Todesengel: Roman (German Edition)

Titel: Todesengel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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nicht provozieren zu lassen, sich nicht blindlings in einen Automatismus von Aktion und Reaktion ziehen zu lassen. Aber er hat nicht gesagt, ›Wenn jemand deine Frau vergewaltigt, dann biete ihm auch noch deine Tochter an‹.«
    Ingo begriff, warum ihm das eingefallen war. »Mein Vater ist Religionslehrer und erklärter Pazifist. Meine Eltern lehnen Gewalt grundsätzlich ab. Was würden Sie ihnen sagen?«
    »Dass man es sich damit zu einfach macht«, erwiderte der Selbstverteidigungs-Lehrer. »Wenn man sagt, man werde keine Gewalt anwenden, egal was geschieht, sagt man damit zugleich, dass der Einsatz von Gewalt immer falsch sei. Der Pazifismus befindet sich aber in einem grundsätzlichen moralischen Irrtum, wenn er keinen Unterschied macht zwischen initiativer und reaktiver Gewalt. Wenn Sie diesen Unterschied nicht machen – wenn Sie leugnen, dass es nicht dasselbe ist, ob Sie jemanden angreifen oder ob Sie sich gegen einen Angriff verteidigen –, postulieren Sie damit, dass Angreifer und Verteidiger moralisch gleichwertig sind. Sie bestreiten damit, dass es einen moralischen Unterschied zwischen Mörder und Ermordetem, zwischen Schläger und Geschlagenem gibt. Das ist eine Philosophie aus dem Elfenbeinturm, zu dem das wirkliche Leben keinen Zutritt haben darf. Denn im wirklichen Leben zählt dieser Unterschied. Schon als Kinder wussten wir, dass derjenige, der einen Kampf anfängt, im Unrecht ist, und der, der sich verteidigt, im Recht.«
    »Was sagen Sie dann zur Rechtsprechung zum Thema Notwehr? Die verlangt, dass der Angegriffene unter den Mitteln, die ihm zur Verteidigung zur Verfügung stehen, das mildeste wählt.«
    »Da sollte man fragen: Warum eigentlich?«
    »Wie meinen Sie das?«
    »Warum«, fragte David Mann, »sollen wir einem Aggressor das Recht zugestehen, so sanft wie möglich behandelt zu werden? Sollte nicht umgekehrt dem Angegriffenen das Recht zustehen, sich so wirkungsvoll wie möglich zu verteidigen?«
    Ingo stutzte. »So herum habe ich das noch nie betrachtet«, gestand er.
    David Mann nickte. »Ja, das glaube ich Ihnen. Und finden Sie das nicht selber merkwürdig?«
    »Doch«, gab Ingo zu. Er merkte, dass er zu schwitzen begann.
    »Meine Philosophie«, fuhr David Mann fort, »ist ganz einfach: Wer als Erster Gewalt einsetzt, handelt moralisch falsch. Wer einen gewalttätigen Konflikt beginnt, tut Unrecht und hat jede Strafe verdient, die sich daraus ergibt. Und umgekehrt: Wer angegriffen wird und sich nicht verteidigt, obwohl er es könnte, handelt nicht moralisch. Gewaltlosigkeit unter allen Bedingungen ist in meinen Augen eine Missachtung des Lebens.«
    Die Uhr am Bühnenrand sauste auf die Null zu. Zum Glück. »Das ist auf alle Fälle ein gutes Schlusswort«, sagte Ingo. »Vielen Dank, Herr Mann.«
    Die Kennmelodie der Sendung erklang, der Trailer flimmerte über die Videowand, die Zuschauer applaudierten. Es war geschafft!
    Wenn er seine Wohnung betrat, kam es Ambick immer vor, als gähne sie ihn an. So leer. So still. So deprimierend. Vor Kurzem war – zu seinem Entsetzen – sein sechsunddreißigster Geburtstag gewesen: Er war einst davon ausgegangen, in diesem Alter längst eine Familie zu haben, Kinder, die ihm entgegenstürmten, wenn er abends nach Hause kam. Aber irgendwie hatte das nicht geklappt, und irgendwie waren die Jahre verflogen wie nichts.
    Weil es für ein Bier noch zu früh war, machte er sich einen Tee. Er nahm eine Kräuterteemischung, die seine Mutter selber zubereitete, aus eigenhändig gesammelten Kräutern, Brennnessel vor allem. Der Geschmack erinnerte ihn an die Welt, in der er aufgewachsen war. Auf dem Land, wo das Leben im Großen und Ganzen gemächlicher ablief und weniger neurotisch als in den Metropolen. Deshalb mochte er das Gebräu wahrscheinlich. Es gab ihm das Gefühl, den Tag damit aus sich herausspülen zu können.
    Ach ja, diese Fernsehsendung. Wann kam die noch mal? Achtzehn Uhr. In zwei Minuten. Er ließ sich vor dem Apparat nieder, schaltete ein, zappte durch, bis das City-TV-Logo auftauchte. Schlürfte Tee, während das Intro lief. Der Racheengel. Erstaunlich, was moderne Technik aus einem zittrigen Video machen konnte. Ein anderer Ausschnitt, überlagerte Farbe, Zeitlupe – und schon sah alles aus wie Hollywood. Und ließ die grausige Realität vergessen: dass der Mann zwei Neunzehnjährige in den Kopf geschossen, sie einfach ausgepustet hatte.
    Dann dieser Krav-Maga-Typ. Interessant – das war also der Fall, wegen dem Ortheil am

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