Todesengel: Roman (German Edition)
Hause kam. Er lächelte. Bestimmt Rado, der ihn noch einmal beglückwünschen wollte.
Oder ein paar Ratschläge für morgen hatte. Okay. Ingo drückte die Abspieltaste.
Aber es war nicht Rado. Es war Melanie.
»Hi, Ingo.« Sie sprach hastig und etwas gedämpft, so, als telefoniere sie heimlich. »Ich hab deine Sendung gesehen und, also, toll, wie du das gemacht hast. Ehrlich. Hätte ich nie gedacht …« Sie lachte nervös. »Das klingt jetzt wahrscheinlich blöd. Ich war echt platt. Hast du super gemacht, wirklich.«
Ingo spürte sein Lächeln breiter werden. Ach, die späte Genugtuung! Erkannte sie doch noch, was sie an ihm gehabt hatte.
»Ich hab mich bloß gefragt«, quäkte Melanies Stimme aus dem kleinen schwarzen Plastikkasten weiter, »wie du dazu kommst, in deine Sendung morgen ausgerechnet Markus einzuladen?«
15
Ingo schlief schlecht in dieser Nacht. Er wälzte sich hin und her, sagte sich, dass es nicht sein konnte, entwickelte fiebrige Strategien, falls es doch so war. Griff am Morgen als Erstes zum Telefon.
Doch Rado war nicht da. Angeblich. Sein Handy ausgeschaltet. Und auch sonst fühlte sich niemand zuständig.
Verdammt noch mal!
Wollte Rado ihn reinlegen? Natürlich wusste der alte Halunke haargenau, dass Markus Neci mit Ingos Ex zusammenlebte; er hatte die Trennung und das ganze Drama damals ja mitbekommen. Und natürlich wusste Rado auch, wer Professor Doktor Markus Neci war. Was er lehrte und schrieb. Womöglich sogar, wovon dessen neues Buch handelte; es war ja bestimmt schon angekündigt.
Was jetzt? Neci war ein erfahrener Redner, gewohnt, Autorität zu verkörpern und auszustrahlen, ein mit allen Wassern gewaschener Diskutant. Es würde Neci ein Hochgenuss sein, ihn vor den Augen der Welt zu zerlegen, wenn er die Gelegenheit dazu bekam.
Ingo massierte sich das Gesicht mit beiden Händen. Ihm war heiß. Ob er Fieber hatte? Krank wurde? Das wäre eine Lösung gewesen. Besser das, als vor aller Welt blamiert zu werden, wie es ihm zweifellos blühte.
Aber natürlich ging das nicht. Er durfte nicht kneifen.
Der Racheengel hatte schließlich auch nicht gekniffen.
Allerdings hatte der eine Waffe gehabt.
Eine Waffe. Ingo saß reglos da, starrte ins Leere, während sich langsam die Umrisse einer Idee formten. Seine Blase drückte. Als er vom Klo zurückkam, wusste er, was er tun würde.
Justus Ambick ging den Gang entlang, sich des Plastikteils bewusst, das er in der Hosentasche trug: einen 4-Gigabyte-USB-Stick, den er auf dem Weg ins Büro gekauft hatte. Im Kaufhaus am Bahnhof. Dort hatte ihn niemand gesehen, der ihn kannte. Es war ein Sonderangebot gewesen, im Untergeschoss, wo immer Gedränge herrschte und die Kassierer nur Augen für die Geldscheine hatten, die man ihnen reichte.
Enno hatte sich aufgerafft, war heute Vormittag endlich beim Zahnarzt. Gestern Nachmittag hatte er eine entsprechende interne Nachricht herumgeschickt, wie es sich für einen ordentlichen Computerfreak gehörte, und den Termin in seinem elektronischen Kalender vermerkt. Er war auch tatsächlich nicht da, als Ambick das gemeinsame Büro aufschloss.
Ambick verriegelte die Tür von innen. Die Deckenlampe funktionierte immer noch nicht. Ennos Computer dagegen lief; er schaltete ihn nie über Nacht aus. Ein Druck auf die Leertaste, und der Monitor wurde hell, zeigte den Startbildschirm. Kein Problem. Er hatte Enno oft genug beim Eingeben seines Passworts zugesehen, um zu wissen, dass es diesen Monat nur Marion10 lauten konnte. Marion hieß Ennos Freundin, und 10, weil Oktober war.
Als Justus Ambick hier angefangen hatte, hatte niemand wissen wollen, wie viel er von Computern verstand. Man ging davon aus, dass er damit zurechtkam, wie jeder, der die Polizeischule absolviert hatte: dass er mit den üblichen Officeprogrammen umgehen, E-Mails verschicken, Dokumente anhängen konnte und dergleichen. Es hatte sich nie eine Gelegenheit ergeben, etwas anderes unter Beweis zu stellen. Im Gegenteil, auf der Hochschule hatte man ihnen eingebläut, als Hauptkommissar alle Arbeiten an Computern, die über das Verfassen von Berichten und Mails hinausgingen, tunlichst Untergebenen und Fachkräften zu überlassen. Sie sollen nicht an Computern herumspielen, sondern Fälle lösen! , hatte es geheißen.
Ambick hatte nie jemandem erzählt, dass sein Vater Systemprogrammierer war und Wert darauf gelegt hatte, dass er und seine Schwester Ines mit Computern aufwuchsen, zu einer Zeit, als derlei noch als Spinnerei betrachtet
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