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Todesengel: Roman (German Edition)

Todesengel: Roman (German Edition)

Titel: Todesengel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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eigenes Gesicht: dass er machen konnte, was er wollte, und doch nie rauskommen würde. Aus was auch immer. Er verstand ja nicht einmal, worin er eigentlich feststeckte.
    Eine heiße Dusche, einen Blumenstrauß und einen Fußmarsch später saß er mit Evelyn und ihrem Sohn am Tisch, in gemütlicheren Klamotten, als der Anzug es war. Der Schreck der Heimfahrt war zur Anekdote geschrumpft, die sich mit einem Lächeln erzählen ließ. Es gab drei Gänge: einen raffiniert gewürzten Salat mit vielerlei Zutaten, etwas Überbackenes aus dem Ofen und ein Dessert aus dem Kühlschrank, dazu eine Flasche Rotwein einer Marke, die es nur bei dem Discounter gab, bei dem auch Ingo oft einkaufte. Evelyn musste haushalten, aber sie verstand sich darauf, es nicht so aussehen zu lassen.
    Während des Essens war es Kevin, der am meisten redete. Sein Lieblingsfach war Kunst. Die Lehrerin mochte ihn, war schon einmal mit ihm und zwei anderen ins Museum gegangen, in eine Chagall-Ausstellung. Er schwärmte von Paul Klee und von Albrecht Dürer, erklärte Ingo, worauf es bei der Collagetechnik ankam und dass er sich auf die zehnte Klasse freue, da gäbe es eine AG, in der man mit richtigen Ölfarben male!
    »Das wird bestimmt toll«, meinte Ingo, der gern auch mal zu Wort gekommen wäre.
    Nach dem Dessert schickte Evelyn ihren Sohn endlich ins Bett. »Du musst morgen früh raus«, sagte sie. Kevin gehorchte ohne Widerworte, ein bisschen so, als habe sie das schon vor Ingos Eintreffen mit ihm abgesprochen.
    Sie wechselten ins Wohnzimmer, mit der angebrochenen Weinflasche und zwei Gläsern. Wobei Evelyn sich gleich auf den Sessel setzte und Ingo das Sofa überließ, wie er nicht umhinkam zu bemerken.
    Als die Geräusche aus dem Badezimmer verklangen und die Tür des Kinderzimmers ging, stand Evelyn auf, für den abendlichen Gutenachtkuss vermutlich. »Er macht gerade eine schwere Zeit durch«, sagte sie leise, als sie zurückkam.
    Es klang fatal nach: Aus Rücksicht auf mein Kind werde ich auf keinen Fall mit dir schlafen.
    Ingo räusperte sich. »Ja, das ist ein schwieriges Alter. Ich erinnere mich mit Grauen.«
    »Das kommt noch hinzu, die Pubertät.« Sie setzte sich, schenkte nach. »Viel schlimmer ist, dass eine Reihe von Mitschülern ihn ständig hänseln, piesacken, manchmal sogar verprügeln. Das ist schon zur Gewohnheit geworden; er ist der Prügelknabe der ganzen Klasse. Aber meinen Sie, man kriegt die Lehrer dazu, mal etwas zu sagen oder einzugreifen? Keine Chance. Die haben alle selber Angst.«
    »Vor Schülern?«
    »Und vor den Eltern. Dass die sie verklagen könnten.« Sie schüttelte erbittert den Kopf. »Wenn ich da an meine Schulzeit denke … Wie die Lehrer da waren, wenn man sich nur mal eine Zigarette angezündet hat und noch nicht alt genug war dafür. Klar, Raufereien auf dem Schulhof gab es auch. Aber das hat Nachsitzen eingebracht, und nicht zu knapp. Damals wäre man gar nicht auf solche Ideen gekommen wie die Kids heute.« Sie griff nach ihrem Glas, stellte es wieder hin. »Dieser Ausflug in die Kunsthalle – die beiden anderen, die mit sind, waren Mädchen. Als sich das rumgesprochen hat … das war die Hölle für ihn. Und keiner der Lehrer hat etwas gesagt. Nicht einmal die Lehrer innen !«
    »Wie alle Autoritäten in diesem Staat«, meinte Ingo. »Alle haben sie Angst, für irgendetwas einzustehen. Oder irgendjemanden. Sie machen fleißig Gesetze und Regeln, aber wenn sich jemand nicht dran hält, wissen sie nicht, was sie tun sollen.«
    »Ich wollte, ich wüsste es.« Evelyn seufzte. »Wenn er manchmal heimkommt und so niedergeschlagen wirkt, dass ich Angst kriege, er tut sich eines Tages etwas an –«
    »Das wird er nicht tun«, sagte Ingo.
    »Kann man sich da je sicher sein?«
    Ingo nahm aus Verlegenheit einen Schluck Wein. Selbst so schwermütig, wie sie gerade dreinblickte, fand er Evelyn begehrenswert – aber er sah keinen Weg, ihre Stimmung zu beeinflussen, sie anderen Sinnes werden zu lassen. Dabei war ihm, als müsse er das in der Hand haben, als gebe es irgendwo in ihm die Kraft, das zu tun. Doch er wusste nicht, wo.
    Der Typ in der Straßenbahn war schuld. Irgendwie jedenfalls.
    Ingo beugte sich vor und stellte sein Glas ab. Eine vage Idee, wie er Kevin helfen konnte, glomm in ihm auf. Allerdings würde er dafür ein paar Dinge nachprüfen müssen, deswegen war es wohl besser, jetzt noch nichts davon zu sagen.
    Schade. Aber vielleicht das nächste Mal.
    Der Anrufbeantworter blinkte, als Ingo nach

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