Todesengel
schon lange kein Geld mehr von deinen Eltern genommen«, erinnerte David seine Frau. »Ihre Hilfe war einfach an zu viele Bedingungen geknüpft.«
»Du hast recht«, erwiderte Angela. »Aber wir sollten vor allem auch an Nikkis Gesundheit denken.«
»Ich will einen Hund haben«, sagte Nikki. »Mit Nikki ist doch soweit alles in Ordnung«, stellte David fest.
»Ja, im Moment schon. Aber sowohl hier als auch in New York ist die Luft ziemlich verschmutzt. Und irgendwann wird sich das bemerkbar machen. Außerdem habe ich die hohe Kriminalrate hier in Boston ziemlich satt.«
»Willst du damit sagen, daß wir nach Bartlet ziehen sollen?« fragte David.
»Nein«, erwiderte Angela, »ich ziehe nur alle Gesichtspunkte in Betracht. Aber ich muß gestehen, daß mir Bartlet immer reizvoller erscheint, wenn ich höre, daß sich hier schon Sechstklässler mit Gewehren und Drogen befassen.«
»Und wenn Bartlet nun doch nicht so himmlisch schön ist, wie wir es in Erinnerung haben? Wir haben bislang so wenig von der Welt gesehen, daß unser Blick vielleicht etwas idealisierend ist.«
»Das kann man ja ganz schnell herausfinden«, sagte Angela.
»Fahren wir doch noch mal nach Bartlet!« rief Nikki.
»Okay«, antwortete David. »Machen wir das. Heute ist Donnerstag. Wie wäre es mit Samstag?«
»Von mir aus können wir übermorgen fahren«, sagte Angela.
»Yippee!« jubelte Nikki.
Kapitel 4
Freitag, 21. Mai
Traynor unterschrieb die Briefe, die er seiner Sekretärin am Vormittag diktiert hatte und schob sie, sorgfältig gestapelt, an den Schreibtischrand. Dann stand er auf und zog sich seinen Mantel an. Er war im Iron Horse Inn zum Mittagessen verabredet und hatte es eilig. Colette, seine Sekretärin, erwischte ihn gerade noch auf dem Flur. Tom Baringer war am Telefon und wollte ihn sprechen. Traynor grummelte leise ein paar Worte vor sich hin, kehrte aber zu seinem Schreibtisch zurück. Tom war ein sehr wichtiger Klient, und deshalb konnte Traynor das Gespräch nicht abwimmeln.
»Du wirst nicht erraten, wo ich gerade bin«, sagte Tom. »Ich liege in der Notaufnahme und warte auf Dr. Portland. Er soll meine Knochen wieder richten.«
»Du meine Güte, was ist denn passiert?« fragte Traynor. »Etwas ziemlich Dummes«, gestand Tom. »Ich wollte das Laub aus der Dachrinne fegen, und dabei ist die Leiter umgefallen, auf der ich gerade gestanden habe. Und jetzt ist meine Hüfte gebrochen. Das behauptet jedenfalls der Arzt von der Notaufnahme.«
»Oh, das tut mir aber leid«, sagte Traynor. »Na ja, es hätte schlimmer kommen können«, erwiderte Tom. »Aber es sieht wohl ganz so aus, als ob ich unser Treffen für heute nachmittag absagen muß.«
»Ja, natürlich«, sagte Traynor. »Hattest du irgend etwas Wichtiges mit mir zu besprechen?«
»Das kann warten«, antwortete Tom. »Aber wo ich dich gerade am Telefon habe, wollte ich dich noch um etwas anderes bitten. Könntest du nicht mal die Chefs im Krankenhaus anrufen? Ich dachte, daß ich dann vielleicht in den Genuß einer speziellen VIP-Behandlung kommen könnte.«
»Okay, die sollst du bekommen«, versprach ihm Traynor. »Ich werde mich persönlich darum kümmern. In ein paar Minuten bin ich nämlich mit der Krankenhausleiterin verabredet.«
»Das paßt ja hervorragend«, sagte Tom. »Leg ein gutes Wort für mich ein.«
Nachdem er aufgelegt hatte, wies Traynor seine Sekretärin an, den Termin zu streichen und nicht neu zu vergeben. Die kurze Verschnaufpause wollte er nutzen, um weitere Briefe zu diktieren.
Traynor kam als erster zu seiner Mittags-Verabredung. Er bestellte sich einen trockenen Martini und ließ seine Augen durch die alte Gaststätte mit ihren balkengestützten Decken wandern. In der letzten Zeit hatte der Wirt ihm meistens den besten Tisch des Hauses zugewiesen, der in einem gemütlichen Erker stand; von dort aus hatte man einen phantastischen Blick auf den Roaring River, der hinter dem Iron Horse Inn vorbeiströmte. Traynors Gemütspegel stieg, als er sah, daß sein alter Rivale Jeb Wiggins, der Nachkömmling einer der wenigen reichen und alteingesessenen Familien von Bartlet, an einem wesentlich schlechter plazierten Tisch bedient wurde. Jeb hatte Traynor immer sehr herablassend behandelt. Traynors Vater hatte früher in der Kleiderbügelfabrik gearbeitet, und das Werk hatte zu dem Imperium der Familie Wiggins gehört. Heute genoß Traynor den Rollentausch in vollen Zügen: Inzwischen war er selbst Manager des größten
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