Todesengel
frisch renovierten Nebenraum verband. Der Raum war ganz in weiß gehalten; die Wände, der Schreibtisch, alles war strahlend weiß gestrichen worden. »Gefällt Ihnen das Zimmer?« fragte Dr. Wadley. »Es ist wunderschön«, antwortete Angela. Wadley zeigte auf die Verbindungstür und sagte: »Diese Tür steht immer offen - und zwar sowohl im wörtlichen als auch im übertragenen Sinn.«
»Schön«, erwiderte Angela.
»Und jetzt führe ich Sie noch einmal durch das Labor. Sie haben zwar alles schon mal gesehen - aber ich muß Sie ja noch mit Ihren neuen Kollegen bekannt machen.« Bevor sie losgingen, nahm er einen frisch gestärkten, weißen Kittel von einem Haken und zog ihn an. In der nächsten Viertelstunde wurde Angela so vielen Kollegen vorgestellt, daß sie sich kaum deren Namen merken konnte. Nachdem sie ihren Rundgang beendet hatten, blieben sie in einem fensterlosen Raum neben der mikrobiologischen Abteilung stehen. In diesem Zimmer arbeitete Dr. Paul Darnell, einer der neuen Kollegen Angelas.
Darnell sah vollkommen anders aus als Dr. Wadley: Er war klein und trug einen zerknitterten Kittel, der mit Färbemittelflecken übersät war, die wohl bei dem in der Pathologie üblichen Präparieren von Gewebeproben entstanden waren. Ansonsten schien er zwar ganz nett zu sein, wirkte aber eher unauffällig und zurückhaltend und war insgesamt beinahe das genaue Gegenteil des freundlichen und extrovertierten Dr. Wadley.
Schließlich geleitete Wadley seine neue Mitarbeiterin zurück in sein Büro, wo er sie über ihre Aufgaben und Pflichten aufklärte: »Ich werde eine der besten Pathologinnen aus Ihnen machen, die unser Land je gesehen hat«, versprach er Angela, beflügelt von der echten Begeisterung eines Mentors für seine neue Schülerin.
David hatte seine neun Kilometer weite Fahrt mit dem Fahrrad in vollen Zügen genossen. Er hatte die herrlich frische und kühle Morgenluft tief eingeatmet und sich an der bunten Vogelwelt erfreut. Die Vielartigkeit der Vögel hatte all seine Erwartungen übertroffen; am Wegesrand hatte er sogar ein paar Kolibris entdeckt. Als er dann über den Roaring River geradelt war, hatte er zur Krönung auch noch einige Rehe erblickt, die gerade über eine taufeuchte Wiese huschten.
David traf eine Viertelstunde zu früh ein und mußte noch bis kurz vor neun auf Charles Kelley warten. »Sie scheinen ja hoch motiviert zu sein!« begrüßte Kelley ihn, als er sah, daß David bereits im Wartezimmer der CMV saß und Zeitschriften durchblätterte. »Kommen Sie herein!«
David folgte Kelley in dessen Büro, wo er noch ein paar Formulare ausfüllen mußte. »Sie steigen bei uns in ein echtes Eliteteam ein«, sagte Kelley. »Die Arbeit wird Ihnen gefallen: Die Ausstattung ist erstklassig, und Ihre Kollegen sind alle hervorragend ausgebildet. Was kann man mehr verlangen?«
»Da fällt mir auch nichts ein«, erwiderte David. Als die Formalien erledigt waren und Kelley David noch über einige Grundregeln aufgeklärt hatte, gingen die beiden gemeinsam zu den Praxisräumen hinüber, in denen David künftig arbeiten sollte. Vor der Tür blieb David kurz stehen, um sein Namensschild zu bewundern. Er war überrascht, über seinem eigenen Schild den Namen »Dr. Kevin Yansen« zu lesen.
»Sind wir hier in den gleichen Räumen wie damals?« fragte David mit gedämpfter Stimme. In dem Wartezimmer saßen sechs Patienten.
»Ja, genau hier waren wir auch bei Ihrem letzten Besuch«, erwiderte Kelley. Dann klopfte er an die Spiegelwand, die sofort geöffnet wurde, und machte David mit der Sekretärin bekannt, die er sich künftig mit Dr. Yansen teilen sollte.
»Nett, Sie kennenzulernen«, sagte Anne Withington mit starkem Südbostoner Akzent und ließ so laut eine Kaugummiblase zerplatzen, daß David zusammenzuckte. »Kommen Sie, wir gehen in Ihr Büro«, sagte Kelley. Über die Schulter rief er Anne noch zu, Dr. Yansen doch zwischen zwei Patienten abzufangen und ihn vorbeizuschicken, damit er seinen neuen Kollegen begrüßen könne.
David war verwirrt.
Er folgte Kelley in das Büro, das bei seinem letzten Besuch noch Dr. Portland gehört hatte. Der Raum war frisch renoviert worden: Die Wände waren hellgrau gestrichen, und es war ein neuer, grau-grüner Teppichboden verlegt worden.
»Wie finden Sie Ihr Büro?« fragte Kelley. »Es ist sehr schön«, antwortete David. »Aber wo ist denn Dr. Portland geblieben?«
Noch bevor Kelley antworten konnte, stand Dr. Yansen in der Tür und streckte David
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