Todesengel
seinen Mut zusammengenommen hatte. »Über uns, unsere Beziehung und über mich«, antwortete Helen. »Mein Job gefällt mir gut, die Arbeit macht mir wirklich Spaß. Aber als du mich eingestellt hast, hast du mir Hoffnungen auf eine festere Beziehung gemacht. Du hast mir gesagt, daß du dich scheiden lassen würdest, doch bis heute ist nichts in dieser Richtung passiert. Ich hoffe, daß du dir über eines im klaren bist: Ich werde nicht den Rest meines Lebens um dich herumscharwenzeln. Hier und da ein kurzes Rendezvous mit dir zu haben - das reicht mir nicht. Ich brauche mehr!« Harold merkte, wie ihm der kalte Schweiß ausbrach. Er hatte mit den Problemen im Krankenhaus schon genug am Hals und wollte nicht auch noch Ärger mit Helen bekommen. Seine Beziehung mit ihr wollte er nicht zerstören, aber er schreckte davor zurück, sich Jacqueline gegenüber zu offenbaren.
»Denk darüber nach«, sagte Helen. »Bevor sich nicht irgend etwas verändert, ist jedenfalls erst mal Schluß mit unseren kleinen Rendezvous in meinem Büro.« Harold nickte. Im Moment war das vielleicht die beste Lösung. Sie beobachteten die Spieler, doch ihre Gedanken waren woanders.
»Da drüben ist Dr. Wadley«, sagte Helen und winkte. Dr. Wadley winkte zurück. Neben ihm stand eine junge, attraktive Frau mit dunkelbraunem Haar. Sie trug Shorts und eine Baseball-Mütze, die sie sich keck in die Stirn gezogen hatte.
»Wer ist denn die Frau neben Dr. Wadley?« fragte Harold, nicht unglücklich darüber, das Thema wechseln zu können.
»Das ist die neue Pathologin«, erwiderte Helen. »Angela Wilson. Möchtest du sie kennenlernen?«
»Ja, ich glaube, das wäre wohl ganz angebracht«, sagte Harold.
Sie gingen zu den beiden Ärzten hinüber, und Dr. Wadley stellte seine neue Mitarbeiterin vor. Er rühmte Harold überschwenglich als den besten Vorstandsvorsitzenden, den das Krankenhaus je gehabt habe, und pries Angela als seine cleverste Pathologin. »Freut mich, Sie kennenzulernen«, sagte Angela. Ein paar andere Spieler riefen Angela und Dr. Wadley zu, daß sie endlich anfangen wollten und beendeten so die kurze Unterhaltung.
»Unser alter Dr. Wadley hat sich ganz schön verändert«, bemerkte Helen. »Angela Wilson hat wohl seinen Lehrerinstinkt zum Leben erweckt. Sie hat ihm richtig Auftrieb gegeben. Seitdem sie hier ist, schwebt er im siebten Himmel.«
Harold beobachtete, wie Angela zur Übung ein paar Bodenbälle fing und sie dann elegant zum ersten Mal warf. Er konnte gut verstehen, daß Dr. Wadley großes Interesse an Angela hatte, doch im Gegensatz zu Helen entdeckte er bei dem Chefpathologen mehr als nur die übliche Begeisterung eines Mentors für seinen Zögling. Angela Wilson war hübscher als alle Ärztinnen, die Harold je gesehen hatte.
Kapitel 10
Herbst in Vermont
Obwohl David und Angela während ihrer Assistenzarztzeit vier Jahre in Boston gelebt hatten, hatten sie den Herbst von Neuengland noch nie in seiner ganzen Pracht erlebt. In Bartlet war das Schauspiel geradezu atemberaubend. Von Tag zu Tag schillerten die Blätter in bunteren Farben, ganz so, als ob sie nach jeder Nacht eine noch intensivere Färbung zustande bringen wollten. Neben dem herrlichen Schauspiel der Natur brachte der Herbst noch andere Freuden mit sich, die dafür sorgten, daß sich ein allgemeines Wohlgefühl breitmachte. Die Luft war jetzt frischer und kristallklar; es war eine Wonne, sie einzuatmen. Über allem lag ein Hauch von prickelnder Vitalität, so daß schon das Aufstehen jeden Morgen eine Freude war. Die Tage verlebten die Wilsons voller Aktivität und Aufregung; abends saßen sie dann gemütlich an ihrem knisternden Kaminfeuer, das die kühle Nachtluft erwärmte.
Nikki ging gern in ihre neue Schule. Marjorie Kleber war ihre Klassenlehrerin, und sie machte einen phantastischen Unterricht - genau wie David vermutet hatte. Nikki war schon immer eine gute Schülerin gewesen, doch jetzt waren ihre Leistungen besser denn je. Abends sprudelte sie geradezu über, wenn sie erzählte, was sie im Unterricht alles gelernt hatte.
Nikki und Caroline Helmsford waren inzwischen so dick miteinander befreundet, daß sie auch nach der Schule unzertrennlich waren. Gleichzeitig gedieh Nikkis Freundschaft mit Arni. Nach endlosen Diskussionen hatte Nikki sich durchgesetzt und durfte inzwischen mit dem Fahrrad zur Schule fahren; nur die Hauptstraßen sollte sie meiden. Für Nikki war das ein ganz neues Erlebnis von Freiheit - und sie genoß ihre
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