Todesengel
Selbständigkeit. Ihr Schulweg führte an dem Haus der Familie Yansen vorbei, vor dem Arni jeden Morgen auf sie wartete. Die letzten eineinhalb Kilometer radelten sie gemeinsam.
Nikki hatte auch keinerlei Probleme mit ihrer Gesundheit. Die kalte, trockene und saubere Luft schien für ihr angeschlagenes Atemsystem die beste Therapie zu sein. Von ihren morgendlichen Übungen auf dem Sitzkissen abgesehen, konnte Nikki fast so leben, als würde sie nicht unter einer chronischen Krankheit leiden. David und Angela freuten sich riesig darüber, daß es ihrer Tochter so gut ging.
Eines der größeren Ereignisse in diesem Herbst war der Besuch von Angelas Eltern Ende September. Angela hatte lange überlegt, ob sie sie wirklich einladen sollte. Doch als David sie dann auch noch ermutigte, war ihre Entscheidung gefallen.
Angelas Vater, Dr. Walter Christopher, rang sich sogar dazu durch, ein paar anerkennende Worte über das Haus und über Bartlet zu sagen; wenn es aber um berufliche Aspekte ging, sprach er immer nur herablassend von der »Medizin auf dem Lande«. Er weigerte sich stur, Angelas Labor zu besichtigen und redete sich damit heraus, daß er schon zuviel Zeit seines Lebens in Krankenhäusern verbracht habe.
Angelas Mutter, Bernice Christopher, zog es vor, über das neue Zuhause von David, Angela und Nikki zu lästern. Sie fand das Haus zu groß und - insbesondere für Nikki - zu zugig. Außerdem war sie der Meinung, daß die Farbe der Blätter im Central Park genauso schön sei wie in Bartlet und daß es wohl kaum eine sechsstündige Fahrt rechtfertige, sich ein paar Bäume anzusehen.
Die einzige wirklich unangenehme Episode ereignete sich am Samstag abend während des Essens. Bernice wollte unbedingt mehr Wein trinken, als sie vertragen konnte. Als sie dann leicht beschwipst war, gab sie David und dessen Familie die Schuld an Nikkis chronischer Krankheit.
»In unserer Familie hat es noch nie einen Fall von Mukoviszidose gegeben«, sagte sie.
»Bernice!« ermahnte Dr. Christopher seine Frau in einem scharfen Ton. »Es ist nie besonders vorteilhaft, sein Unwissen zur Schau zu stellen.«
In der gespannten Atmosphäre sagte zunächst niemand ein Wort. Schließlich schaffte es Angela, ihre Wut zu unterdrücken und ein anderes Thema anzuschneiden. Sie erzählte davon, wie sie und David die Einrichtungsgeschäfte der Umgebung nach gebrauchten und antiken Möbeln durchstöbert hatten.
Als die Christophers am Sonntag mittag abreisten, waren alle erleichtert. David, Angela und Nikki stellten sich höflich vor das Haus und winkten dem Auto nach, während es die lange Abfahrt hinunterrollte. »Gebt mir das nächste Mal einen Tritt, wenn ich davon rede, meine Eltern einzuladen«, sagte Angela.
Das herrliche Herbstwetter hielt sich noch bis weit in den Oktober. Gegen Ende September hatte es zwar auch schon ein paar kühlere Tage gegeben, doch dann kam der Indian Summer, und es wurde noch einmal so warm wie im richtigen Sommer. Aufgrund eines günstigen Zusammentreffens von Temperatur und Feuchtigkeit blieb die einzigartige Färbung der Blätter in diesem Herbst besonders lange erhalten; das sagten jedenfalls die Einwohner von Bartlet.
An einem Samstagmorgen Mitte Oktober, als das Ärzteteam des Krankenhauses wie üblich Basketball spielte, redeten Steve, Kevin und Trent gemeinsam auf David ein.
»Wie wär’s, wenn ihr das nächste Wochenende mit uns verbringt?« schlug Trent vor. »Wir wollen ins Waterville Valley nach New Hampshire fahren und hätten euch gerne dabei.«
»Nun sag ihm doch auch den wahren Grund, weshalb wir das wollen«, warf Kevin ein.
»Halt den Mund!« sagte Trent und verpaßte Kevin eine Kopfnuß.
»Der wahre Grund, weshalb wir dich fragen, ist nämlich, daß wir ein Apartment mit vier Schlafzimmern gemietet haben«, fuhr Kevin unbeirrt fort. »Trent und Steve sind nämlich Geizhälse und würden alles tun, um irgendwie Geld zu sparen.«
»So ein Quatsch!« sagte Steve. »Je mehr Leute mitfahren, desto mehr Spaß haben wir.«
»Warum fahrt ihr denn nach New Hampshire?« fragte David.
»Das nächste Wochenende wird in diesem Jahr mit Sicherheit das letzte sein, an dem man die phantastische Färbung der Blätter bewundern kann«, antwortete Trent. »Man sagt, daß das Schauspiel in New Hampshire noch imposanter sein soll als hier. Wegen der wilden Landschaft dort.«
»Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, daß es im Moment irgendwo noch schöner aussieht als in Bartlet«,
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