Todeserklärung
Gewohnheit folgend, auch an jenem Abend des Tages, als Knobel Frau Klabunde seinen Brief an seinen Schwiegervater übergeben hatte, sich von seinem Büro aus in Frau Klabundes Computer eingeklickt, um alle Schreiben zu lesen, die sie für ihren Chef geschrieben hatte. Mehr als alle Klageschriften, Schriftsätze, Antwortschreiben und sonstigen Schriftverkehr interessierte Knobel das Anschreiben von Frau Klabunde an Knobels Schwiegervater, in welchem es nach der Anrede hieß: Anliegend übersende ich Ihnen im Auftrag von Herrn Rechtsanwalt Knobel einen persönlichen Brief mit der Bitte um Kenntnisnahme und zur weiteren Veranlassung. Mit freundlichen Grüßen, im Auftrag, Klabunde.
Als Löffke das gelesen hatte, war er in das im Erdgeschoss neben den Mandantentoiletten gelegene Zimmer gelaufen, in dem zwei Auszubildende die aus allen Sekretariaten angelieferten Schriftstücke sammelten, sie in die passenden Umschläge steckten und dann in die Frankiermaschine schoben, die die Briefsendungen mit lauten Schlägen stempelte und sie in einen bereitstehenden Plastikkorb auswarf, um von dort zum nächstgelegenen Briefkasten gebracht zu werden. Löffke hatte sich nach Betreten dieses Raumes aufgeregt gezeigt, gemurmelt, dass er eines seiner Schreiben an einen Mandanten noch dringend ergänzen müsse und sodann die noch nicht eingetüteten, danach die bereits in Umschläge gesteckten und schließlich auch die bereits freigestempelten Briefsendungen durchwühlt, unter denen er endlich den an Knobels Schwiegervater adressierten Brief gefunden hatte und damit in sein Büro zurückeilte.
Löffke hatte den Brief gelesen, die Fettflecken auf dem Brief ebenso wie den Umstand, ein lediglich von der Sekretärin unterzeichnetes Anschreiben beizufügen, zutreffend als Zeichen Knobels Geringschätzung gegenüber seinem Schwiegervater interpretiert und dann Frau Klabundes knappes Anschreiben unter der Unterschrift noch um eine Zeile ergänzt:
Herr Knobel erwartet, dass seine persönlichen Sachen vollständig und unbeschädigt am kommenden Donnerstag vor dem Kanzleigebäude in der Prinz-Friedrich-Karl-Straße zwischen 11 und 13 Uhr angeliefert werden. Herr Knobel wünscht keinen weiteren Kontakt.
Der gewählte Zeitpunkt bot sich an, weil Knobel ausweislich der Terminplanung am Donnerstagvormittag ab 11 Uhr einen umfangreichen Beweisaufnahmetermin vor dem Dortmunder Landgericht wahrnehmen musste, dessen voraussichtliche Dauer ausweislich der gerichtlichen Ladung mindestens zwei Stunden in Anspruch nehmen würde. Dann druckte Löffke das Anschreiben an Knobels Schwiegervater aus, löschte es sodann im Computer, und zwar nicht nur seine Ergänzung, sondern auch die von Frau Klabunde stammende Ursprungsversion. Das Schreiben faltete er und packte es dann in einen neuen Fensterumschlag, den er im Büro seiner Sekretärin fand, ging zum Frankierraum zurück und legte es zu den Briefsendungen, die noch gestempelt werden mussten. Die Unterschrift von Frau Klabunde zeichnete er nicht nach. Ihm schien, als sei es noch verächtlicher, wenn der Brief überhaupt keine Signatur enthielt.
An jenem Donnerstagmorgen hatte Löffke nach der Postbesprechung immer wieder nervös hinter seinem Bürofenster gestanden und auf die Prinz-Friedrich-Karl-Straße geschaut, bis er mit dem Erscheinen des Möbelwagens gleichermaßen befriedigend und herzklopfend feststellen konnte, dass sein Plan aufgegangen war.
»Herr Knobel ist gerade nicht da«, erklärte er dem Möbelwagenfahrer, »vielleicht kann ich Ihnen helfen?«
»Ich soll die Sachen hier abliefern«, antwortete der grauhaarige Mann im blauen Overall, der sich offenbar selbst über seinen Auftrag wunderte. »Es sind Wohnsachen«, sagte er.
»Ja, ja«, erwiderte Löffke, »lassen Sie mal sehen!«
Sie verließen das Kanzleigebäude, passierten den kurzen Weg zur Prinz-Friedrich-Karl-Straße und verließen das Grundstück durch das schmiedeeiserne Tor. Der Möbelwagenfahrer öffnete die Hintertüren des Lastwagens, und drinnen erschienen einige Möbelstücke und fahrbare Kleiderständer mit Hemden, Anzügen, Hosen und so weiter.
»Soll das wirklich in die Kanzlei?«, fragte der Fahrer.
Löffke eilte in das Gebäude zurück, rannte in Dr. Hübenthals Büro und gab sich hilflos.
»Kollege Knobels Hausrat steht vor der Tür!«
Nun trat auch der Senior vor das Haus, und vor der Kanzlei trafen sie noch auf Frau Meyer-Söhnkes, die gerade von einem Scheidungstermin zurückkehrte.
»Es ist ja nicht
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