Todeserklärung
Ich bin Umsatzkönig mit feinsten Mandaten. Und glauben Sie mir, ich sehe das sportlich! Ich jage Mandate! Ganz sportlich! Fette Brocken! Und immer neue dazu! Der Umsatzkönig ist das Wichtige, nicht der Postkönig, den Sie mir in letzter Zeit streitig machen. Aber ich habe ja entdeckt, wie Sie das machen: Sie bitten in allen Akten schriftlich um schriftliche Sachstandsmitteilungen, um nochmalige Zusendung von Schriftstücken und so weiter. Sie produzieren künstlich Posteingänge, Knobel. Sie sind ein Betrüger! Ich bin Ihnen auf der Spur! Ich weiß, was Sie machen und wie Sie es machen. Sie sind für solche krummen Touren nicht talentiert, glauben Sie mir!«
»Vielleicht nehme ich doch ein Mettwürsten«, überlegte Knobel.
»Mettwürstchen oder ein saftiges Stück Schinken? Vielleicht dazu ein Spreewaldgürkchen?« Löffke blickte verzückt auf das Tablett.
»Für unsere verdiente Nummer Zwei ein besonders schönes Würstchen«, befand er schließlich.
»Was halten Sie von Betül Atalay?«, fragte Knobel.
»Wer ist Betül Atalay?«
»Eine von unseren vier Auszubildenden. Frau Atalay beendet in Kürze ihre Ausbildung.«
»Ach, der schwarzhaarige Traum aus der Türkei, der sich in der Umgebung des Empfangs beim Postausgang verdient macht. Meinen Sie die?«
»Genau die«, nickte Knobel.
»Was ist mit ihr?«
»Ich meine, wir sollten gleich in der Sozietätsbesprechung den Vorschlag machen, Frau Atalay nach dem Ende der Ausbildung zu übernehmen. Sie leistet hervorragende Arbeit.«
»Ich kenne das Mäuschen kaum«, erwiderte Löffke. »Sie doch auch nicht, Herr Knobel, oder beschäftigen Sie sich nicht nur mit Studentinnen, sondern auch mit unseren hübschen Auszubildenden?«
»Sie nimmt die Interessen unserer Kanzlei in vorbildlicher Weise wahr«, sagte Knobel ruhig.
»Das heißt?«
»Sie bringt den Mandanten oder Gegnern Briefe persönlich nach Hause, wenn sie in ihrer direkten Umgebung wohnen.«
»Das erwarten wir von jedem, der bei uns arbeitet«, antwortete Löffke. »Jeder soll auf die Kosten achten, egal, in welcher Funktion.« Löffke verdrehte gelangweilt die Augen. »Unser Credo. Schon immer.«
»Neulich erst hat sie meinem Schwiegervater einen Brief in die Dahmsfeldstraße gebracht«, fuhr Knobel fort.
»Und das, obwohl die Adresse gar nicht lesbar war! Derjenige, der den Brief in unseren Postraum gebracht hat, hatte ihn versehentlich falsch in den Briefumschlag gesteckt, nämlich so, dass das Adressfeld nicht im Umschlagfenster war. Im Umschlagfenster war nur weißes Papier sichtbar. Also hat Frau Atalay den Umschlag geöffnet und ihn richtig eingetütet. Und bei der Gelegenheit, die Neugier sei ihr verziehen, den Brief gelesen, der einen ziemlich eigenartigen PS-Zusatz hatte. Das war schon merkwürdig! Denn weder ist es Frau Klabundes Eigenart, nach so vielen Jahren Berufserfahrung Briefe falsch in den Umschlag zu stecken noch Briefe mit PS-Zusatz zu versehen. Aber, und Sie sehen, wie treu Frau Atalay ist, sie dachte, es sei schon alles sicherlich in Ordnung, denn schließlich war es ja ein Umschlag, den Sie, Herr Löffke, in den offenen Postausgangskorb geworfen hatten und der noch als letzter Brief oben in dem Korb auflag, als ihn Frau Atalay frankieren wollte.«
Löffkes Gesicht war fahl geworden, die Zähne kauten lustlos auf der Mettwurst.
»Ja, das war doof!«, sagte er tonlos.
»Es war nicht böse gemeint! Ein Joke, Herr Kollege, ehrlich! Vielleicht ein dummer Joke! Aber Sie müssen das sportlich sehen! Es war doch lustig! Ihre ganzen Sachen hier im Büro! Sie taten allen leid, und doch war es irgendwie lustig! Ehrlich! Mein Gott, Knobel, jeder braucht auch seinen Spaß!«
»Der Spaß ist Verletzung des Briefgeheimnisses, Urkundenfälschung und anderes mehr, insbesondere aber eine Beleidigung meiner Person, und auch die meiner Frau und meines Schwiegervaters«, fasste Knobel zusammen.
»Und Sie schnüffeln in meinen Akten, ich weiß es.«
»Es gibt nicht Ihre und nicht meine Akten. Wir arbeiten zusammen. Wir sind Partner. Denken Sie an unseren Sozietätsvertrag. Da steht es in der Präambel: Die Sozietät beruht auf der wechselseitigen Wertschätzung der Sozien . Und was die Akten angeht: Sie dürfen gern auch in den Akten lesen, die ich bearbeite. Vier Augen sehen immer mehr als zwei.«
»Hübenthal wird Sie rausschmeißen!«, prophezeite Knobel.
Löffke war blass und ernst geworden, seine Lippen pressten schmal aufeinander, ohne eine Zigarette dazwischen.
»Hübenthal
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