Todeserklärung
Strafrecht, aber nicht spanisches Strafrecht. Was ist passiert?«
»Man hat Gregor verhaftet. Weil er Sebastian vorsätzlich getötet hat.«
Kirsten Praetorius strich sich fahrig durchs Gesicht. »Du und Marie haben es ohnehin vermutet. Ihr hattet recht!«
Sie nahm vor seinem Schreibtisch Platz. Ihre Gesichtszüge waren unruhig. Sie knetete nervös die Hände.
Knobel schüttelte ungläubig den Kopf.
»Ich habe alles erwartet, aber nicht das. Hat man Sebastians Leiche gefunden? Wo? Wie ist die Polizei ihm überhaupt auf die Spur gekommen?«
»Ich habe ihn angezeigt, Stephan!«
»Du hast was?«
Knobel mochte nicht glauben, was ihm Kirsten Praetorius gesagt hatte.
»Angezeigt«, wiederholte sie nüchtern, bevor sich ein Ton Verzweiflung in ihre Stimme mischte.
»Ich konnte einfach nicht mehr, Stephan! Das ständige Versteckspiel. Die Angst, entdeckt zu werden. Du und deine Freundin waren ihm auf der Fährte. Vorletzte Woche rief dann noch ein vermeintlicher Galerist aus Dortmund an und behauptete, Sebastian kürzlich gesehen zu haben. Eine glatte Lüge. Er konnte Sebastian nicht gesehen haben. Aber er erzählte mit unüberhörbarer Süffisanz, dass Sebastian in Sa Pobla gewesen sei und er beschrieb meine Wohnung und mich so genau, dass er ganz ohne Zweifel über die Zusammenhänge bestens Bescheid wusste. Dann kündigte er auch noch an, alles der Polizei zu melden, bevor er das Telefonat beendete. Mit anderen Worten: Es hat sich jemand gemeldet, der in nächster Zeit Geld fordern wird. Ein schmieriger Erpresser, was sonst? Und wenn es diesen einen gibt, dann vermutlich auch noch andere. Die Geschichte findet kein Ende. Man kann nicht ein Leben lang flüchten. Und weißt du …«, Kirsten Praetorius strich mit der rechten Hand über ihren Bauch, »wir brauchen Zukunft. Das Kind braucht eine Zukunft. Ich stehe diesen Stress, das fortdauernde Versteckspielen nicht durch. Ich konnte einfach nicht mehr, Stephan!«
Sie schluchzte leise.
»Was ist denn passiert?«, fragte Knobel, so weich er diese Worte formulieren konnte.
»Den Anfang der Geschichte kennst du ja. Ich habe eines Abends in Palma Sebastian und Gregor kennengelernt. Zwei Brüder, die einander nichts zu sagen, aber gemeinsam nur eines zu erzählen wussten: Die Geschichte einer Jagd nach dem Erbe der Tante Esther van Beek, die noch in irgendeinem Altersheim lebte, aber deren Ende nach der Prognose der Gebrüder Pakulla greifbar nahe war. Sie hatten Spaß daran, ihre Prognosen zu verfeinern. Höchstens ein Jahr noch , hatte Sebastian einmal gesagt und korrigiert, dass es mit etwas Glück auch noch schneller vorbei sein könne. Und natürlich merkte ich, dass sich beide in mich verguckt hatten. Zwei ganz unterschiedliche, aber in ihrer Habgier miteinander verbundene Brüder. Dem zufälligen Treffen in Palma folgten weitere Verabredungen, schließlich Besuche bei mir in Sa Pobla. Sebastian umschwärmte mich mit Dichterzitaten und gleichzeitig mit seinen Bildern. Er wollte mich von den Grundstücksgeschäften abbringen, mit denen ich täglich zu tun habe und die er als eher widerlich empfand. Sebastian ging mir mit seinen Romantikmotiven aus Palmas Altstadt ziemlich schnell auf die Nerven. Er flehte mich förmlich an, mit meiner Maklertätigkeit den Ausverkauf Mallorcas nicht noch zu fördern. Er hatte für Geschäfte keinen Sinn. Sebastian hatte noch nie arbeiten wollen. Mit Esthers halber Erbschaft hätte er sich für den Rest seines Lebens ausgeruht.«
»Und Gregor?«, fragte Knobel.
»Gregor schaute zuerst nur unbeteiligt zu. Er registrierte natürlich mit größter Zufriedenheit, dass ich für seinen malenden Bruder nicht wirklich etwas übrig hatte. Gregor gefiel es, wie sich Sebastian verausgabte. Noch ein Gedicht, noch ein Bild, noch ein Blick auf die wertvollen Kulturgüter Mallorcas, aber nichts wirkte! Sebastian wollte das nicht wahrhaben. Gregor hingegen erkannte die Erfolglosigkeit von Sebastians Mühen und wusste, dass er nur abwarten musste. Es war noch während des ersten Aufenthaltes der Gebrüder Pakulla auf Mallorca, als Gregor alleine zu mir nach Sa Pobla fuhr. Wir haben noch am selben Tag miteinander geschlafen.«
»Einfach so? Man schläft nicht einfach so mit jemandem.«
»Es hatte sich so ergeben«, blieb Kirsten Praetorius unbestimmt. »Jedenfalls löste mein beginnendes Verhältnis mit Gregor die Katastrophe aus. Ein oder zwei Tage später waren beide Brüder wieder bei mir. Es wurde viel Wein getrunken. Du weißt schon, der
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