Todeserklärung
gemütlichen Abend.«
»Ich weiß es von meinen Studentenfeiern«, erwiderte Marie. »Es ist, wie bei Ihnen, sehr gemütlich, und die Nacht findet kein Ende, und morgen früh ist der Kater da. – Nein, bestimmt, es ist besser so. Wir haben wegen des Osterreiseverkehrs nur einen Flug von Palma nach Dortmund am Samstag bekommen können. Und der geht schon um 9 Uhr. Und wir müssen ja noch packen. – Aber dafür«, sie streichelte Stephan den Arm, »sind wir auch schon ein paar Tage hier. Wir haben Ostern praktisch vorverlegt. – Aber vielleicht können wir, wenn Sie nichts dagegen haben, einmal ein paar Tage zusammen verbringen und von hier aus oder von Palma aus etwas unternehmen. Wie ich denke, wird Stephan mit dem ›Todeserklärungsverfahren‹ noch einige Jahre zu tun haben.«
Gregor Pakullas Gesicht entspannte sich und verzog sich zu einem Lächeln. »Jetzt weiß ich von Ihnen fast gar nichts, liebe Frau Schwarz, und weiß doch, dass Sie, wie zu Anfang vermutet, eine ganz wunderbare Frau sind. – Natürlich sind Sie bei uns jederzeit willkommen. Wir freuen uns auf Sie! Ich besuche Kirsten so häufig wie möglich. Wir haben jetzt schon fast eine Woche gemeinsam hier verbracht. Zeit für das Leben, Zeit für die Liebe.«
Dann irgendwann verabschiedete man sich. Gregor Pakulla hatte einen Taxiunternehmer angerufen, und zum Schluss boten sie sich wechselseitig das Du an, tranken darauf noch vor dem bereitstehenden Taxi einen letzten Schluck Rotwein.
Sie fuhren los, Knobel drehte sich im Taxi nochmals um und winkte in die Dunkelheit zurück, bis das Auto um die nächste Ecke bog.
»Wir hätten durchaus bei Pakulla übernachten können«, meinte Knobel, als das Taxi auf die Autobahn Richtung Palma auffuhr.
»Es war doch sehr nett! Auf alle Fragen haben wir eine Antwort gefunden. Und der Rotwein schmeckte auch sehr gut.«
»Ähnlich dem Grand Cru , ich weiß«, antwortete Marie.
»Du bist ungerecht! Beide waren wirklich sehr nett. Und wir hätten nur in unserer Pension anrufen und sagen müssen, dass wir heute Nacht nicht zurückkommen. Und morgen früh hätten wir unser Auto sofort mitnehmen können. Du bist eifersüchtig. Stimmts? Du hast gemerkt, dass ich Kirsten Praetorius sehr attraktiv finde?«
»Ach, Stephan …!«
»Stimmts?«
»Ich bin spießig«, antwortete sie.
»Das habe ich noch nie bemerkt«, versicherte er irritiert.
»Zu meinen spießigen Angewohnheiten gehört, nicht bei Mördern zu übernachten.«
»Marie!«
Er erschrak über seine Lautstärke und sah, dass der Taxifahrer sie im Innenspiegel beobachtete.
»Marie«, wiederholte er leiser, »wir haben auf alle Fragen eine Antwort bekommen. Es ist klar, warum er Sebastians Rolle eingenommen hat. Es ist klar, warum er die Spielchen getrieben hat. Es ist klar, warum er Sebastians wahrscheinlichen Selbstmord nicht gemeldet und warum er auch mir zu Beginn des Mandats keinen reinen Wein eingeschenkt hat. Du betrachtest die Dinge noch so wie am Anfang. Gregor Pakulla ist eben von anderer Struktur«, und bei diesen Worten fielen Knobel unweigerlich Löffke und sein Schwiegervater ein. Menschen mit anderer Struktur. Hatte er, Knobel, zu wenig Struktur?
»Es gibt eine zentrale Frage«, erwiderte Marie, »und du hast zu ihrer befriedigenden Antwort etwa 45 Kilometer Zeit. Wenn du mir diese Frage schlüssig beantworten kannst, dann werde ich über Gregor Pakulla kein schlechtes Wort mehr verlieren und dich dein ›Todeserklärungsverfahren‹ betreiben lassen!«
»Und diese Frage lautet?«
»Wenn es so ist, wie dein Mandant behauptet, dann hat sich Sebastian aus enttäuschter Liebe aus dem Leben verabschiedet. Er hinterlässt einen Bruder im rechtlichen Sinne, der ihm auch noch die Liebe seines Lebens weggeschnappt hat, als die er Kirsten jedenfalls gesehen hat. Und dieser Bruder hat nicht nur die schöne Kirsten, dieser Bruder beerbt jetzt auch noch Esther van Beek. Wie wirkt das auf Sebastian?«
»Die enttäuschte Liebe und das Verhältnis zwischen Kirsten und Gregor treiben Sebastian in den Selbstmord, die Erbschaft ist in diesem Zusammenhang ohne Bedeutung, denn Sebastian hätte ja auch selbst geerbt.«
»Richtig! Aber Sebastian wird nicht aus dem Leben scheiden und den verhassten Bruder dergestalt belohnen, dass Gregor all das bleibt, was er sich genommen hat.«
»Das heißt?«
»Die Frage lautet: Wenn Sebastian Pakulla Selbstmord begangen hat: Warum tut er es an einem Ort, an dem er bis heute nicht gefunden worden ist? Seine
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