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Todesfalter

Todesfalter

Titel: Todesfalter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tessa Korber
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aufgefunden wurde?«
    Einen langen Moment herrschte Stille. Dann begann die Hebamme in ein Klagen auszubrechen, das nicht mehr menschlich war. Sie warf sich in ihren Ketten hin und her wie ein betender Muselmane und stieß Laute aus, die eher an ein Tier erinnerten. Über ihren Kopf hinweg tauschten die anderen drei ein ratloses Schweigen.
    »Sollte man …?«, begann die Obfrau schließlich laut zu überlegen.
    Der Knecht schüttelte den Kopf. »Urteil ist Urteil.«
    »Und Ihr seid da sicher, Gräffin?«, wandte sich Clara Dietherin dann an Maria Sibylla.
    Diese nickte. »Leider.« Sie dachte nach. »Könnte man die Hebamme nicht fragen, ob sie etwas über den Tod ihrer Tochter weiß?« Sie formulierte es bewusst vorsichtig, das Wörtchen Mord vermied sie, da sie nicht wusste, ob Peller es überhaupt ins Spiel bringen würde.
    »Die hat so schnell keine Einfälle mehr«, meinte der Knecht und stieß seine Gefangene in die Hüfte, damit sie sich in Bewegung setzte. »Hat alles seine Zeit.«
    Die Ehrbare Dame hob hilflos die Hände. »Ich werd’s dem Lochschöffen melden«, versprach sie. »Es ist ja doch ein besonderer Fall. Meine Güte.« Noch im Weggehen fragte sie: »Ihr wisst nicht zufällig, wer das die Tage ist?«
    Maria Sibylla rief ihr den Namen des Rates Nützel zu, konnte aber die Antwort nicht mehr verstehen über dem lauten Klagen der Gefangenen, die zur Ostseite des Rathauses an den Pranger geführt wurde.
    Vorbei ist doch niemals vorbei, sagte Maria Sibylla sich beschämt. Die Dinge machen ihre Metamorphose durch und verwandeln sich. Eben nur ein medizinisches Rätsel, jetzt ein gebrochenes Mutterherz. Sie ging langsam weiter, bedrängt von einer großen Gruppe Gläubiger, die in Erwartung der nächsten Messe Sankt Lorenz zustrebte.
     
    Um die Kirche herum herrschte ein großer Trubel. Nicht nur Kirchenbesucher waren da, die sich Seelenfrieden erhofften oder einfach die reichen Altäre bestaunen wollten, sondern auch unzählige Händler und ihre Kunden, die vor den Buden aus und ein flogen wie die Bienen vor dem Stock. Im Eingangsbereich des Gotteshauses drängten sich besonders viele Bettler in der Hoffnung, ein schlechtes Gewissen vor der Beichte oder ein erleichtertes Herz danach mache die Gläubigen spendenfreudig. Schmutz und Unrat, der einfach aus den Hütten gekehrt wurde, häuften sich auf dem löchrigen Kopfsteinpflaster beinahe knöchelhoch.
    Maria raffte die Röcke und drängte sich so gut es ging durch die Menge. Sogar in der Luft flatterte und kreischte es wild durcheinander; ganze Horden von Tauben, Krähen und anderen Vögeln suchten sich in dem herumliegenden Müll ihre Nahrung und stießen ungeniert auf die freien Plätze herunter. Und über allem zergingen im selben Moment die bleiernen Ringe der Glockenschläge von Sankt Lorenz. Unwillkürlich zog Maria Sibylla den Kopf ein. Doch um sie herum tobte das Leben weiter.
    In einem der hölzernen Anbauten, die sich dicht an dicht um den mächtigen Sandsteinkörper der Kirche drängten und Kramläden, kleine Werkstätten und Spelunken beherbergten, hatte Andreas gezecht. Endlich sah sie den schäbigen Laden, in dem ihr Mann die letzte Nacht zugebracht hatte. Ein grob bemaltes Schild wies ihn als die Kneipe Zum frohen Prediger aus. Hier verkehrten fast nur Reisende und übel beleumundetes Volk; die Nürnberger von Stand vergnügten sich anderswo. Maria Sibylla zögerte lange, ehe sie eintrat. Just als sie sich entschlossen hatte, kam von drinnen ein Poltern, ein lauter Schrei, und mit Schwung wurde die wackelige Tür aufgestoßen.
    Sie konnte gerade noch einen Schritt zurücktun und verhindern, dass der Mann, der Kopf voran herausgeflogen kam, sie von den Füßen schubste.
    »Da, du Lump, und lass dich hier herin nicht mehr blicken.« Der Wirt stand mit in die Hüften gestemmten Händen im Eingang. Als er Maria Sibylla sah, ging ein Grinsen über sein Gesicht.

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    »Ah«, sagte er, »da kommt ja der andere Schuldner. Oder zumindest sein Eheweib.«
    Es war Maria Sibylla mehr als unangenehm, von diesem Mann angesprochen zu werden. Darüber hinaus verwunderte es sie, dass er sie kannte. »Ich wüsste nicht …«, begann sie.
    Aber der Wirt winkte gleich ab. Er wischte sich die Hände, rot von den Ohrfeigen, die er seinem letzten Kunden verpasst hatte, an einer dreckigen Schürze ab und fuhr fort: »Euer Mann hat ausführlich genug von Euch gesprochen, der großen Malerin. Und in Nürnberg kennt man die Gräffin. Nicht nur in den feinen

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