Todesfalter
bescheidenen Gewinn versprach. Wenn sie Glück hatte, dachte Maria, tauchte er niemals wieder auf, genauso wenig wie die restlichen Kleider des armen Mädchens oder ihr Halstuch, mit dem sie vermutlich erwürgt worden war. Sie hatte die Faser des blauen Tuches gut vor Augen, wie sie aus der Wunde gezupft worden war. Ob Peller sie in seinem Bericht erwähnen würde? Wohl kaum. Es war vorbei; sie würde sich keine Sorgen mehr machen müssen.
Mit deutlich leichteren Schritten überquerte sie zwischen den Bauernkarren die Zugbrücke über den Trockengraben, die von all den Rädern widerhallte.
Maria ließ sich mit der Menge treiben. Die Türme der Sebalduskirche schon vor Augen, blieb sie endlich stehen. Nach kurzem Zögern entschied sie sich, zur Lorenzkirche zu gehen, statt sofort heimzukehren. Es war wohl besser, die Schulden, die Andreas dort letzte Nacht gemacht hatte, sofort und vor Ort zu begleichen. Wer wusste schon, was für einen Menschen der Wirt ihnen sonst ins Haus schickte, um sie einzutreiben. Besser, die Nachbarn bekamen ihn nicht zu Gesicht. Dann wäre auch dies erledigt.
Sie mied den benachbarten Abschnitt des Flusses mit seinem Kloakengestank, den Abfällen und dem Lärm der Mühlen. Auch bereitete ihr der Gedanke Unbehagen, die Henkerswohnung auch nur von Weitem sehen zu müssen. Lieber wählte sie die Barfüßerbrücke mit dem tröstlichen Anblick des Heilig-Geist-Spitals, das so unverwüstlich und fest dastand und aus dem manchmal der Duft der Apothekenkräuter herüberwehte. Aber an diesem Tag sollte Maria dem Henker und seinen Gehilfen nicht entkommen.
Kaum hatte sie den Fuß auf die Brücke gesetzt, wurde sie schon gegrüßt.
Die Dietherin, wunderte Maria Sibylla sich, als sie das kleine Grüppchen bemerkte, das ihr entgegenkam. Was macht sie in Gesellschaft einer Gefangenen und des Henkersknechtes? Die Witwe Clara Dietherin gehörte zu den »Ehrbaren Damen« der Stadt, die über die Hebammen und Findelhäuser zu wachen hatten. Mehr als zwanzig von ihnen gab es in Nürnberg, die ihr karges Einkommen im öffentlichen Dienst aufbesserten. Eine Weile war Maria selbst versucht gewesen, so ein Amt zu übernehmen, um die Kosten für ihren eigenen Haushalt zu tragen. Doch zum Glück hatte sich ihr kleiner Handel mit Farben und Firnis als lukrativ genug erwiesen. Sie hätte kaum gewusst, woher die Zeit für dieses Amt nehmen. Und wenn man Andreas’ Lebenswandel in letzter Zeit betrachtete, wäre sie wohl Gefahr gelaufen, abgelehnt zu werden.
»Dietherin! Was tut Ihr an so einem schönen Tag hier in solcher Begleitung?«
Die Ehrbare Dame schnaubte. »Mit was muss man sich nicht alles herumschlagen. Da, das Weibsstück, die Gebhardin, hat sich widerspenstig gezeigt, hat lose Reden gegen uns Damen geführt und getrunken bei der Arbeit. So besoffen war sie bei der letzten Entbindung, die sie geleitet hat, dass sie das Neugeborene für einen Jungen ausgab, wo es doch ein Mädchen war. Ein Skandal ist das.« Sie wies mit dem Kinn auf die gefesselte Frau. Dieser hingen die Haare, wohl nach einer langen Nacht im Arrest, offen wie bei einer Prostituierten über die Schultern, aber sie machte keine Anstalten, etwas an ihrem liederlichen Äußeren zu verändern. Der Dunst, der von ihr ausging, bestätigte jedes Wort ihrer Anklägerin. Sie stank noch immer nach Schnaps. »Und ein Lehrmädchen wollte sie auch nicht aufnehmen. Trotz unserer Vorstellungen«, fuhr die empörte Dietherin mit ihren Anschuldigungen fort.
Jetzt kam doch ein wenig Leben in die Angeklagte, die zuvor schwankend dagestanden hatte, die Hände vor dem Körper in Ketten gelegt. »Meine Beata hat bei mir gelernt.« Sie hatte Mühe, die Worte zu formen.
»Magd war sie, beim Verleger Fürst«, widersprach die Ehrbare Dame. »Und hat vom einen wie vom anderen wenig Ahnung gehabt nach allem, was man hört.« Sie schüttelte den Kopf. »Da lügt sie noch im Angesicht der Strafe.«
»Sagte sie Beata?«, hauchte Maria Sibylla, der ein schrecklicher Verdacht kam. »Ein blondes Mädchen, so um die zwanzig und hübsch?«
Die verhaftete Hebamme nickte, nachdem der Henkersknecht ihr einen Stoß versetzt hatte. »He, Kerl, verreck … – ja, ich meine: Auf meine Beata kann ich stolz sein. Stolz!«, wiederholte sie lauter und reckte das Kinn, als die Dietherin sie strafend ansah.
»Ja, aber …«, entfuhr es Maria Sibylla. Sie erwiderte den überraschten Blick der Ehrbaren Dame. »Wisst Ihr denn nicht, dass Beata heute Morgen tot vor dem Laufer Tor
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