Todesfalter
ihres Schwiegervaters mit dem Laureaten-Titel, nicht am Verlag ihres Bruders und seinem wachsenden Ruhm. Eigentlich nur …. Sie verlor sich in Gedanken. Als sie es bemerkte und aufschreckte, sah sie, dass er sie lächelnd betrachtete.
Sein Finger war erhoben, als wollte er sagen: Siehst du? Ertappt.
Maria verschränkte die Arme. »Und wo treibt Euer wildes Herz Euch hin?«
Er ließ sich nicht provozieren. Im Gegenteil, sein Gesicht wurde ernst. »Ich geboren an eine See«, sagte er voller Sehnsucht. »Wunderschöne See, blau, in Mitte von die Berge.« Seine lebhaften Hände formten Gebirgsketten. »Dort ich wieder sein, eines Tages. Aber vorher etwas schaffen. Etwas Großes.« Er schaute sie an. »Meine Namen zu erinnern. Ihr versteht?«
Ja, dachte Maria unwillkürlich. Das verstehe ich, ich verstehe es gut. Sie beherrschte sich, nicht heftig zu nicken. Aber sie wusste, dass er es in ihrem Gesicht lesen konnte. Deshalb beeilte sie sich, möglichst trocken zu fragen: »Mit der Arbeit hier am Haus der Behaims? Der Decke im Familiensaal?« Es klang nicht so spöttisch, wie sie gehofft hatte.
Doch er bemerkte die Absicht und lächelte ein wenig müde. »Vielleicht«, sagte er. »Aber ich denke: noch nicht.«
»Um was geht es bei der Decke denn?«, fragte Maria, die langsam von seinem Ernst angesteckt wurde.
»Freundschaft«, sagte er, und etwas in seinem Ton eroberte endgültig Marias Herz. Er nahm ihren Arm, und ehe sie sich’s versah, gingen sie nebeneinander her, und sie lauschte der Beschreibung seiner Arbeit.
»Und das andere Feld?«, fragte sie. »Gegenüber? Was werdet Ihr dort abbilden?«
»Liebe.« Er blieb stehen. »Amor schießt ab seinen Pfeil, wo niemand entkommt. Ihr möchtet sehen? Vielleicht?«
Maria wurde es schwindelig. Nur verschwommen nahm sie wahr, dass sie schon fast an seiner Arbeitsstätte angekommen waren. Vor ihnen lag das Rathaus, und davor hatte sich eine Menschenmenge um den Pranger versammelt.
»Ich, ich …«, stammelte Maria Sibylla. Aus den Augenwinkeln sah sie, dass sich eine Gasse gebildet hatte, die zu der unglücklichen Hebamme führte, die dort im Eisen stand. Zwei Männer waren bei ihr, ein Jäger und ein anderer, in dem Maria den Rat Nützel erkannte, als er sich zu ihnen umwandte.
»Was kann geschehen?«, flüsterte Moretti an ihrem Ohr.
Maria Sibyllas Herz schlug schneller.
Im selben Moment erhob die Gefangene ihre Stimme. »Da ist er«, schrie sie. »Das ist der italienische Teufel, der meine Tochter ermordet hat.«
Maria und Moretti fuhren auseinander. Aller Leute Augen richteten sich für einen kurzen Moment auf sie beide. Über die Köpfe der Menge hinweg war ein schmales Brett an einer Eckwand zu sehen, auf dem die Hebamme balancierte, die Hände hinter dem Rücken gefesselt und mit einem Halseisen an der Wand festgemacht. Neben ihr hatte man zwei weitere Unglückliche angekettet, Maria wusste nicht, was ihre Verfehlungen waren. Aber die beiden standen mit gesenkten Köpfen da und schienen entschlossen, die Zeit ihrer Schande mit geschlossenen Augen und zusammengepresstem Mund zu überstehen. Nur Beatas Mutter fügte sich nicht in ihr Los. Sie zerrte am Eisen, schimpfte und schrie und starrte zu ihnen herüber.
Unwillkürlich fasste Maria nach Morettis Hand. Er erwiderte fest ihren Griff, sie fühlte seine Wärme, die Rauheit seiner Finger, wo Hornhaut und Gips saßen. Es fühlte sich vertraut an und doch fremd. Erschrocken ließ sie los und wagte kaum, ihm in die Augen zu sehen. Sie wünschte sich, den Mut aufzubringen, ihn nach diesen Anschuldigungen zu fragen, nein, ihm zu sagen, dass sie nichts davon glaubte. Doch sie brachte kein Wort über die Lippen.
Beatas Mutter schimpfte immer weiter, nun sah man, wie der Rat Nützel, gefolgt vom Henkersknecht, dem sogenannten Löwen, sich mühte, die wackelige Leiter hinaufzuklettern, um mit ihr zu reden. Ob er sie ermahnen oder verhören wollte, konnte Maria nicht erkennen.
Moretti nahm erneut ihre Hand und raunte. »Ich Carlo. Du mutig und kommen?«
Maria musste lächeln. »Ja«, flüsterte sie. »Ja, ich komme. Ich …« Sie wollte noch etwas sagen, aber zu ihrer Überraschung neigte er sich in dem Moment vor und streifte mit seinen Lippen sacht ihr Haar. Maria blieben die Worte im Hals stecken.
»Heute Abend«, flüsterte er zum Abschied. Dann war er fort.
Maria blieb alleine zurück. Inmitten der gaffenden Menge, mit einem Gesicht, das wie Feuer brannte, und der Frage, ob sie nicht eine Riesennärrin
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