Todesfalter
vollkommen glücklich.
Niemand fragte sie, wo sie hinwollte, als sie am Abend noch einmal nach ihrem Umschlagtuch griff. Man war es im Haus gewohnt, dass sie in Geschäften unterwegs war. Maria unterdrückte den brennenden Wunsch, eine Rechtfertigung vorzubringen. Es wäre ja doch nur eine Lüge gewesen, und im Moment traute sie nicht ein mal ihrer Stimme. Am unauffälligsten war es sicher, gar nichts zu sagen. Dabei wünschte sie, sie hätte sich irgendjemandem, egal wem, mitteilen können. Hätte einmal mit ihrer eigenen Stimme sagen hören, was sie vorhatte und was sie gerade tat. Dann hätte sie es vielleicht selber verstanden. Alles, was sie wusste, war, dass sie es wollte. Sie wollte in dieses Haus, zu diesem Mann, mit einer so brennenden, leidenschaftlichen Gier, wie sie sie zuletzt als kleines Mädchen empfunden hatte, als sie vor dem Garten des Grafen stand, um eine Tulpe zu rauben, die sie darin gesehen hatte und unbedingt haben wollte, nein, haben musste. Auch jetzt war es ein Müssen, eine Mission, der sie unbedingt nachgeben wollte.
»Maria?«
Das war Andreas’ Stimme. Aus allen Träumen gerissen blieb Maria stehen.
»Maria, komm doch mal her«, kam es aus der Küche.
Mit zitternden, unsicheren Beinen, als wäre sie gerade von einem schweren Sturz aufgestanden, ging sie hinein.
Andreas erhob sich nicht, als sie eintrat. Dafür tänzelte ein junges Mädchen, das sich mit beiden Händen an seinem Bündel festhielt, umso nervöser herum. Auch die Kleine schien vor Kurzem noch gesessen zu haben, Andreas’ Haltung nach auf seinem Oberschenkel. Und im Gegensatz zu ihm, der sich nur gemütlich die Hose zurechtzog, schien es ihr ein wenig peinlich zu sein. Sie lächelte, so strahlend sie konnte.
»Maria«, begann Andreas gut gelaunt, »das ist die neue Magd. Du brauchst doch Hilfe hier im Haus. Und da der Rat mir den Stadtprospekt abkauft …«
Maria Sibylla hörte nicht, was er schwadronierte. Sie sah nur die dicken, weizenblonden Flechten, die großen, ein wenig hervorstehenden Blauaugen mit dem naiven Blick, die dralle Figur. Und einen Moment lang sah sie Moretti und sich selbst, was ihre Wut nicht kleiner machte. Da brach sich ein unglaublicher Zorn in ihr Bahn, wie sie ihn noch nie empfunden hatte.
»Raus!«, schrie sie, packte das Mädchen hart am Arm und schob sie Richtung Tür. »Raus aus meinem Haus.« Ihre Stimme war hoch und dünn, in ihre Augen schossen Tränen. Aber ihr Griff war unbarmherzig. Maria ignorierte das Sträuben des Mädchens ebenso wie ihren Mann, der aufgesprungen war und ihr ein paar Schritte hinterdreinlief. Andreas rief irgendetwas, aber sie achtete nicht darauf. Es war eine Sache von Augenblicken. Dann fiel die Tür hinter der jungen Frau ins Schloss.
Andreas Graff war verstummt. Unsicher schaute er seine Frau an, halb schmollend, die Unterlippe vorgeschoben, halb mit einem spitzbübischen Lächeln, das schon auf der Lauer lag.
Maria starrte ihn an, als kenne sie ihn nicht. Nach einem langen Schweigen sagte sie nur: »Treib’s nicht zu weit, Andreas.«
Das Lächeln verschwand aus seinem Gesicht. Wortlos ging er an ihr vorbei. Die Tür krachte ein weiteres Mal. So ist’s recht, dachte Maria, geh und sauf dir einen an. Ich wünschte, ich hätte auch einen Krug da.
12
Maria lief nicht, nein, sie rannte, sie versuchte mit den Füßen ihre Gedanken zu überholen, ehe sie ihr in die Quere kämen: Sie konnte das nicht tun, was sie vorhatte, sie durfte nicht, sie sollte nicht, schon gar nicht nach den jüngsten Ereignissen. Es war nicht gut, so in Wut und Trotz. Ach, wenn es doch nur Trotz gewesen wäre. Aber was sie noch trieb, das wagte sie nicht einmal vor sich selbst auszusprechen. Wer sie heute Abend sah, der fand die Gräffin geschäftiger und eiliger denn je.
Als sie vor der imponierenden Fassade des Fembohauses stand, war sie völlig außer Atem. Es war schon dunkel, dennoch erkannte sie beinahe sofort die Umrisse Carlos, der außen neben der schweren hölzernen Eingangstür an der Mauer lehnte. Das war er, der Mann, der ihre Gedanken anzog wie ein Magnet.
»Einen guten Abend«, sagte sie und kam sich töricht vor. Noch törichter, als sie bemerkte, dass sie so dicht vor ihn getreten war, dass sie seinen Atem auf ihrem Gesicht fühlen konnte. Er roch gut, dieser Mann, nicht nach Wein, nicht dumpf, sondern zart und beinahe wie eine Blume. Unwillkürlich sog sie die Luft ein.
Er lachte leise, machte aber keine Anstalten, den Moment auszunutzen. »Komm«,
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