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Todesfalter

Todesfalter

Titel: Todesfalter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tessa Korber
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war.

11
    Zum allerersten Mal in ihrem Leben verpatzte Maria an diesem Nachmittag einen Stich. Sie hatte sich in die Werkstatt gesetzt zu den Gesellen, unfähig, alleine zu sein, und sich an die Umsetzung von Andreas’ Bleistiftzeichnungen in Stichvorlagen gemacht. Aber das Ergebnis mit seinen wackligen Linien und verzogenen Proportionen taugte zu gar nichts. Die Platte war verdorben. Verdrossen, wie es gar nicht ihre Art war, warf sie die Arbeit hin und stapfte die Stufen hinauf zu der Kammer, die ihre eigentliche Heimat war, ihr Refugium und ihr Rückzugsort. Hier war alles gut. Die vertraute Unordnung umfing sie wie eine tröstende Umarmung.
    Seufzend sank Maria auf ihren Stuhl und starrte eine Weile auf die langen Reihen von Schachteln und Behältern, in denen ihre Gäste untergebracht waren: Raupen, behaarte und glatte, dicke und dünne, leuchtend farbige und unscheinbare, blass wie Maden. Solche mit bunten Beingliedern und solche mit exotisch anmutenden Stacheln. Langsam bewegten sie sich in ihren Gefängnissen, auf den Blüten und Blättern, die Maria ihnen nach bestem Wissen und Gewissen als Futter und Bettstatt gepflückt hatte. Denn eine jede von ihnen, das hatten ihre Forschungen ergeben, verlangte nach ihrer ganz besonderen Wirtspflanze, so wie jede Blume, jedes Kraut oder Gemüse seinen besonderen Boden brauchte, damit es gedieh. Die Rose wuchs nicht auf Lehm, sie wollte Sand. So tummelte der Kohlweißling sich nicht auf Glockenblumen oder Hahnenfuß. Er suchte die Brennnessel auf, um sich zu vermehren. Und einen Bläuling gab es, der ausschließlich den Wundklee liebte. Lange hatte sie gebraucht, um das herauszufinden. Sie zog eine Schachtel heran und betrachtete lange den »Dattelkern« eines Bläulings, wie sie solch eine Puppe stets nannte. Bald würde es so weit sein und er fliegen. Sie hob den Kopf. Ja, es war warm im Raum. Zu den wenigen unabwendbaren Pflichten der alten Anna gehörte es, in diesem Zimmer stets für ein Klima zu sorgen, das den Raupen bekam. Sie sollten sich wohlfühlen.
    Maria hob den Behälter hoch. »Bald zeigst du dich«, murmelte sie. Da fiel ihr eine Besonderheit in der Färbung der Puppe auf und sie kramte nach Papier, um eine genaue Beschreibung festzuhalten. Genauigkeit und Geduld, das waren ihre Waffen im Kampf gegen das Unbekannte. Mit Exaktheit und mit zäher Beständigkeit kam sie weiter. Das waren die Tugenden, auf die sie zählen konnte, an die sie sich halten sollte. Maria spürte, wie allein der Gedanke daran sie wieder ruhiger werden ließ.
    So, ganz langsam, Stück für Stück enthüllten sich ihr zum Dank all die wunderbaren Zusammenhänge in der Natur. Denn nichts geschah einfach so. Alles hatte seinen Grund, und alles hing mit allem zusammen auf eine Art und Weise, die harmonisch war und Maria mit großer Dankbarkeit erfüllte, auch mit Hoffnung. Das Leben war kein Chaos. Jeder Einzelne war ein Faden im Gewebe und lief nach Gottes Plan.
    Sie betrachtete ein paar Eier des Waldwiesenvögelchens, die relativ groß waren, deshalb hatte sie sie überhaupt entdeckt. Beinahe blaugrün waren sie und gerippt wie manche Glasperlen. Wie kleine Kostbarkeiten lagen sie glänzend da. Die Raupen würden gelbgrün sein und sich nur auf bestimmten Gräsern aufhalten. Wie kam es nur, dachte sie, dass jedes kleine Tierchen genau wusste, wo sein Platz in diesem Plan war – und sie selbst, ein Mensch, geschaffen nach dem Bilde Gottes, wusste es nicht?
    War es möglich, dass ein Mensch sich in sich selber täuschte und seinen Platz nicht fand? Dass er wie eine Rose im Lehm, wie ein Falter auf der falschen Blüte verkümmerte? Und war es möglich, solch einen Menschen spät in seinem Leben noch zu versetzen?
    Maria ging ihre Sammlung durch wie eine Mutter die Häupter ihrer Kinder zählt und jedem von ihnen Aufmerksamkeit schenkt, da bemerkte sie, dass im Dattelkern eines Zitronenfalters ein Riss entstanden war. Sofort klopfte ihr Herz bis zum Hals. Sie entzündete eine Lampe und zog sie dicht heran. Mit zitternden, doch bald ruhiger werdenden Händen hob sie eine Lupe vors Auge und studierte das Ereignis in jeder Einzelheit. Dann legte sie die Sehhilfe beiseite. Ihre Hände tasteten nach der Feder, Papier war da, das Tintenfass bereit.
    »Komm, mein Vögelchen«, flüsterte sie. »Komm nur und zeig dich in all deiner Schönheit. Oh dank dir, mein Gott, dass ich das sehen darf.« Die nächste Stunde dachte Maria Merian an nichts Düsteres oder Verwirrendes mehr. Sie war

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