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Todesfalter

Todesfalter

Titel: Todesfalter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tessa Korber
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sagte er einfach.
    Maria besann sich, als er ihre Hand nehmen wollte, und folgte ihm ohne Hilfe die schwere Treppe hinauf, die ganz mit Laken verhüllt war. Dadurch hing trotz der einbrechenden Nacht eine dämmrige, unwirkliche Helle in dem Haus, in dem außer ihren Schritten nichts zu hören war. Erst als sie im Saal im zweiten Stock angekommen waren, zündete Carlo eine Lampe an.
    »Werden die Leute das nicht bemerken?«, fragte Maria unwillkürlich.
    Er lächelte wieder. »Bin oft hier spät. Denken, entwerfen. Ist nicht verboten.«
    »Nein«, gab Maria zu. »Natürlich.« Sie taten nichts Verbotenes. Er zeigte ihr seine Arbeit, das war alles. Und wirklich hob er die Laterne und ließ ihr Licht auf die Decke und das umlaufende Gesims über der Holzvertäfelung fallen.
    Ihr stockte der Atem, als sie den Gips sah, mächtig geballt wie ein Wolkenhimmel, zartgelb gefärbt und bewegt durch die lebendige Flamme, die tiefe Schatten schuf, was alles noch plastischer erscheinen ließ. Es war, als rankten und wogten die üppigen Blumenketten aus eigener Kraft um den Raum und umschlängen sie beide. Es war wie ein lebendiger Dschungel.
    »Als würden sie wachsen«, hauchte Maria und blickte in die Augen einer Nymphe – oder war es ein Engel? – deren nackte Brust sich aus dem Gewirr der Blüten und Ranken erhob.
    Carlo nickte geschmeichelt. »So soll sein«, gab er zu. »Hier.« Er leuchtete in die Ecken.
    Maria folgte ihm ein paar Schritte, sie musste aufpassen, dass sie nicht über die herumstehenden Eimer und Gerätschaften stolperte. Überall lagerten Säcke, halb volle, volle, leere, zerknüllte Haufen, Stapel von Brettern, Nester aus Seilen, dazwischen standen Zinkwannen. Carlo bewegte sich hier wie einer, der kein Licht braucht. »Die Jahreszeiten«, sagte er leise und ließ die Figuren aus dem Schatten gleiten.
    »Wunderschön«, entfuhr es Maria.
    Er sagte nichts mehr, als er ihr das Deckenmedaillon zeigte, eine nackte, wie in Milch gebadete Frauengestalt mit dem Amor.
    »Die Liebe«, flüsterte Maria. Nie war ihr ein Weib schöner vorgekommen.
    »Ja.« Carlos Stimme war rau geworden.
    »Que bella. «
    Er lachte leise, als er die Bestätigung vernahm, dass sie seine italienischen Komplimente wohl gehört und verstanden und vor allem in ihrer Erinnerung bewahrt hatte. »Si« ,bestätigte er. »La piu bella del mondo. « Und er drehte sie zu sich und küsste sie.
    Maria wurde schwindelig. Sie nahm nicht mehr wahr, wo sie war, was geschah. Sie fühlte ihre Beine nicht mehr – hätte er sie nicht gehalten, wäre sie gefallen oder geschwebt. Sicher war sie schon oft geküsst worden, von ihrem Vater und den Brüdern. Von Andreas auch: zarte Küsschen in der Verlobungszeit und dann in den Nächten, dieses gierige, ziellose Geschlabber, wie sie es bei sich nannte. Aber niemals so wie jetzt, nie mit diesem Glühen und Verbrennen. Es war beängstigend, sie meinte, keine Luft mehr zu bekommen, aber wie durch ein Wunder atmete sie weiter, schwebte, löste sich auf und blieb doch am Leben in diesem wundersamen Zustand. Sie bemerkte ganz am Rande, dass sie zu Boden sanken, dass da Säcke waren und weißer Staub, der verräterisch sein könnte. Aber dieser Gedanke blieb vage, es kümmerte sie nichts. Sie half den Händen, die in ihren Ausschnitt glitten, den Weg unter ihre Röcke suchten. Sie gab Laute von sich, für die sie sich geschämt hätte, hätte sie darüber nachgedacht. Aber was war Denken?
    Maria Sibylla vernahm die Schritte, die plötzlich auf der Treppe hörbar wurden, aber ohne wirklich begreifen zu wollen, was sie bedeuteten. Und sie hätte sie ignoriert, wäre Carlo nicht geistesgegenwärtig gewesen. Mit einem Mal verließ sie sein angenehmes Gewicht, die Wärme, alle Zärtlichkeit. Sie fühlte Nachtluft auf ihrer Haut, begriff, dass sie halb nackt war, und kroch mit einem Maunzen in sich zusammen.
    »Still, cava« ,flüsterte er. Und ehe sie sich’s versah, hatte er einen der Säcke gepackt und über sie gezogen.
    »Seid Ihr der Stuckateur?«
    Maria erkannte die Stimme des Rates Nützel. Angst kroch in ihr hoch. Und Scham. Mit einem Schlag wurde sie sich ihrer Lage bewusst. Sie zupfte an ihren Kleidern, wischte sich über den Mund, schmeckte zum ersten Mal den fremden Schweiß, fremden Speichel auf ihrer Haut. Oh Gott, was hatte sie getan?
    Eine große Hand legte sich durch den Rupfenstoff schwer auf sie. Sie erstarrte. Ein letzter Druck, das war Morettis Ermahnung, sie beide zu retten und still zu sein. Für

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