Todesfalter
von Sebald hat schon vorgesprochen, es geht um einen Exorzismus.« Nützel hustete trocken. »Ich hatte mal einen Prozess gegen eine schwarze Sau zu führen, die man der gleichfarbigen Magie bezichtigte. Eine Aufregung war das damals, bis in die umliegenden Dörfer. Was tut man nicht alles.« Er spuckte aus.
Der Henker fügte etwas Unverständliches hinzu. Dann: »Wir wären so weit.«
Plötzlich hörte das Scharren und Rascheln auf, Nützel räusperte sich noch einmal und begann laut und vernehmlich: »Ihr seid Carlo Moretti?«
»Ja«, kam es, mit einer Stimme, die Maria zusammenzucken ließ. Das war er, das war Carlo, der gestern auf dem Markt vor ihr gestanden und sie eingeladen hatte, seine Arbeit zu bewundern, mit der er unsterblich werden wollte. Aber zugleich klang es unvertraut und seltsam gepresst, so als behindere etwas seine Atmung. Es klang herauf wie aus einem Grab! Maria schlang ihre Hände fester ineinander.
»Geboren im Jahr des Herrn 1630 in Azzano?«
Auch das wurde dem Rat bestätigt.
»Ihr wisst, weshalb Ihr hier seid?«
»Ich bin unschuldig.«
»Das war nicht die Frage.« Der Rat wiederholte seinen letzten Satz, bis er auch darauf ein »Ja« erhielt.
Maria hörte es rascheln. Er arbeitet seine Liste durch, dachte sie, jene Liste mit Fragen, die irgendwo in seiner Schreibstube ein Konsulent verfasst hatte und die diesen Morgen in aller Eile vom Rat gebilligt worden war als Grundlage des Verhörs. Derselbe Konsulent würde am Abend auf der Basis der Antworten, die Nützel gleich notieren würde, eine Analyse des Falls erstellen und ein Urteil empfehlen, und der Rat würde dem in seiner nächsten Sitzung folgen oder nicht. Jeder tat das Seine, jeder nur seine Pflicht. Aber dort unten lag Carlo gefesselt und würde seinen Beitrag mit Blut leisten müssen.
Nützel verlas die Aussage der Hebamme, Moretti habe Beata Gebhardin am vorvorigen Abend zu Hause abgeholt und sei mit ihr, betrunken und singend, in der Dunkelheit verschwunden.
Moretti widersprach: »Bin ich nie dort gewesen. Nicht diese Abend, nicht andere.«
Der Rat notierte das sorgsam; Maria hörte die Feder übers Papier kratzen. »Meister«, sagte er dann.
Als Nächstes hörte man ein Klatschen. Schläge, dachte Maria, eine Peitsche. Zunächst fielen sie wie ins Nichts, bald aber erhielten sie ein Echo aus Stöhnen und Ächzen. Schlag und Antwort, in bösem Takt. Und jedes Mal zuckte die Malerin zusammen.
»Neun, zehn«, zählte eine Stimme mit.
Elf, zwölf. Maria konnte nicht anders, als ebenfalls zu zählen. Das Keuchen wurde lauter, kürzer, glich mehr und mehr einem Schnappen nach Luft. Dann hallte der erste Schrei von den Kellerwänden.
»Fünfzehn.« Das Klatschen hörte auf. Maria bemerkte erst jetzt, dass sie unwillkürlich die Luft angehalten hatte. Ihr ganzer Körper war verkrampft. Immer wieder strich ihr Daumen über die Seite ihres Zeigefingers, wo eben eine tiefe Kerbe entstanden war, als sie sich den Nagel ins Fleisch getrieben hatte. Schon als Kind hatte sie das getan, wenn sie beim Arzt oder beim Bader war. Es half zwar, die Erwartung des Schmerzes auszuhalten, aber es half nicht gegen die Schmerzen selbst, weder gegen die eigenen noch gegen fremde.
16
Als Maria Sibylla zwei Stunden später wieder auf der Straße stand, wirkte sie blass und schmal, als hätte sie durchwachte Nächte hinter sich. Sie übersah die Grüße mehrerer Bekannter und rettete sich so schnell wie möglich in die Goldene Sonne. Zum ersten Mal, seit sie vor vier Jahren hierher gezogen war, freute sie sich wieder über ihr Zuhause, über seine Größe und Wohlanständigkeit. Es versprach ihr Schutz und Frieden. Hinter seinen kleinen Fenstern wollte sie sich für den Rest des Tages verbergen und ihre Falter studieren.
Doch schon hinter der Haustür wurde ihr Name gerufen. »Frau Gräffin!« Das war Anna, die herbeilief, um ihr Besuch anzukündigen. Wenig später trat Maria Sibylla mit notdürftig gefasster Miene in die Küche, wo am gescheuerten Holztisch ihre Tochter auf einem Hocker saß und mit großen Augen ihren seltenen Gast musterte.
Der Diakon von Sankt Sebald erhob sich.
Maria Sibylla erwiderte seinen Gruß und schalt Anna, dass sie ihn nicht oben in die helle Stube mit dem Kachelofen geführt hatte.
Aber der Diakon winkte ab. Er war ein großer Mann, breitschultrig, fast vierschrötig, mit Händen, die für gröbere Arbeiten gemacht schienen als dafür, den Kelch zu halten oder Taufwasser auszugießen. Allerdings hielt er
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