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Todesfalter

Todesfalter

Titel: Todesfalter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tessa Korber
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den Scheitel klopfte. Mit einem raschen »Komm, Maria, der Vater wartet«, entschlüpfte sie in den nächstgelegenen Korridor.
    »Wie machst du das?«, fragte Maria Sibylla. »Rot wie eine Pfingstrose, und das wie auf Bestellung.«
    Bärbel grinste. »Es hat mit Atmung zu tun«, meinte sie leichthin.
    »Auf dich werde ich ein Auge haben müssen«, stellte die Malerin fest. »So eine abgefeimte Kleinmädchen-Nummer.«
    Das Grinsen der kleinen Nützel wurde breiter, verschwand aber, als vor ihnen Schritte zu hören waren. Zum Glück hatten sie ihr Ziel fast erreicht.
    »Und wenn jemand drin ist?«, fragte Maria besorgt, als Barbara die Hand auf den Türknauf der Kammer legte und hastig drehte.
    »Keine Angst, Papa hat gesagt, es wird keiner vom Rat dabei sein.« Barbara hatte geflüstert. Stumm standen sie beide hinter der rasch wieder verschlossenen Tür und horchten, wie die Schritte draußen erst lauter wurden, vor ihrem Versteck ankamen, sich dann aber wieder in der Ferne am anderen Gangende verloren. Erleichtert atmeten sie auf.
    »Hab ich’s doch gesagt«, stellte Bärbel fest, doch ihre Stimme zitterte. Sie zog ein Bündel Papiere unter ihrem Umschlagtuch hervor, das sie zu diesem Zweck aus Maria Sibyllas Atelier mitgenommen hatten, und hielt es sich gut sichtbar vor die Brust. »Kann ich dich alleine lassen?«, flüsterte sie.
    Maria presste die Lippen zusammen und nickte. Sie versuchte ein Lächeln. Die beiden jungen Frauen gaben einander noch einmal kurz die Hand, dann huschte Barbara davon.
    Es fiel nicht schwer, die Öffnung des Schachtes zu finden, der hinab in die Kapelle führte. Er war schräg angelegt, sodass sie nur hören, aber nichts sehen konnte, egal, wie weit sie sich vorneigte und das Gesicht an die viereckige Öffnung brachte. Immerhin ein schwacher Widerschein von Fackellicht war zu sehen, so schien es ihr zumindest. War da nicht ein unruhiger Schatten, der zuckend hier und da das Schwarz durchbrach? Er allein verband sie mit der Welt dort unten, die sie sich mit aller Kraft vorzustellen versuchte.
    Sicherlich war da der Rat in seinen vornehmen Kleidern, außer ihm noch der Henker, Nachrichter genannt. Ihn hatte sie schon oft gesehen, auch wenn sie den Steg vor seinem Zuhause nahe den Fleischbänken mied wie viele Nürnberger. Sie besuchte nur selten eine der Hinrichtungen vor dem Frauentor, denn es war nicht nach ihrem Geschmack, wenn etwas, das Gott gerade und mit Sinn für Ordnung geschaffen hatte, krumm gemacht, zerbrochen, verbrannt oder zerfleischt wurde. Aber natürlich kannte auch sie den Mann mit dem ledernen Schurz und der Maske, den Mann, der für viele, die verschämt zu ihm gingen, zugleich ein Wundarzt und Heiler war.
    Unten in der Kapelle, das wusste sie aus vielen Berichten, gab es Dinge, die auf den ersten Blick wirken mochten, als gehörten sie in eine Schmiede oder in eine Gerberei oder in einen der vielen Zulieferbetriebe der Nürnberger Zünfte. Die große Vorrichtung in der Mitte sollte aussehen wie eine Art seltsamer Webstuhl. Aus Holz und Eisen war sie gebaut, mit Ketten und Beschlägen. Die Gassenjungen erzählten davon und prahlten untereinander damit, was am meisten Schmerz zufüge, was am wirkungsvollsten sei, das Quetschen oder das Ziehen, das Brennen oder das Nägelreißen. Und die Mutigsten unter ihnen behaupteten, dergleichen selbst schon einmal gesehen oder angefasst zu haben oder zumindest schon an einem, der seine Wunden in den Kneipen gegen Geld herzeigte, entdeckt zu haben, was sie anrichten konnten. Manche dieser Gerätschaften hatten schmeichelnde Bezeichnungen, die den Schrecken verdecken sollten, den sie in Wahrheit verbreiteten. Allein der Name »Kapelle« war ja eine einzige feige Beschönigung. Maria faltete nervös die Finger ineinander.
    Da, jetzt waren dort unten Stimmen zu hören. Das war der Rat, der dort sprach, eindeutig Nützeis trockenes Organ, seine hüstelnde Diktion. Den anderen kannte sie nicht. Das musste der Henker sein. Was waren sie leise! Maria duckte sich nahe an die Öffnung heran, um etwas zu verstehen. Dauernd klirrte und quietschte etwas, überdeckte mit seinem Lärm die Worte. Jetzt endlich waren ein paar Satzfetzen zu verstehen. Aber konnte das sein? Sie sprachen übers Wetter!
    »Verdammtes Raupengeziefer!«, schimpfte Nützel.
    Der Henker antwortete gleichmütig: »Was wollt Ihr? Der Winter war mild und der Frühling feucht.«
    »Ihr seid’s ja nicht, dem die Menge dann einen Prozess gegen die Tiere abverlangt. Der Diakon

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