Todesfalter
sprechen. Sie wollte versuchen, etwas über seinen Charakter und Lebenswandel in Erfahrung zu bringen.
Dorothea, die Handfesteste unter den Mädchen, bot an, sich noch einmal die Hebamme vorzunehmen. Vielleicht würde es ihr gelingen, im Gespräch mit ihr ein genaueres Bild von Beatas letzten Stunden zu bekommen.
»Es genügt nicht zu beweisen, dass der Italiener nicht der Mörder war«, erklärte Maria ihren Mädels. »Wir müssen herausfinden, wer Beata getötet hat, wenn wir wirklich etwas erreichen wollen.« Und das wollten sie alle, sie waren Feuer und Flamme: endlich einmal eine Aufgabe, die über das Arrangieren von Blüten und das Planen von Sonntagsmahlzeiten hinausging.
Selbst die besonnene Clara versprach, über ihren Vater in Erfahrung zu bringen, was der Rat in der Mordsache zu unternehmen plante. Maria Sibylla dankte ihr sehr dafür. »Bist immer so gut zu mir«, meinte sie. »Auch für die Sache mit Dr. Volkamer habe ich dir noch gar nicht gedankt. Das hast doch bestimmt du arrangiert, dass er mich in seine Gärten einlädt.« Clara zog kurz die Stirn in Falten. »Ach, hat er sich schon entschieden?«, fragte sie.
»Vergiss nicht«, fiel Dorothea ein, »herauszufinden, welchen Magister sie mit der Abfassung der Urteilsempfehlung beauftragt haben.« Clara versprach es.
Sogar die Wangen von Bärbel brannten. Die Aussicht, ihrem Vater hinterherzuspionieren, ließ sie ihre übliche Schüchternheit verlieren. »Normalerweise macht er das mit mir. Endlich drehe ich den Spieß mal um.« Dorothea nahm sie in den Arm.
Die Einzige, die seltsam lustlos bei der Sache wirkte, war Magdalena. Als ihr Name bei der Aufgabenverteilung fiel, zuckte sie zusammen, erstarrte und hatte nichts zur allgemeinen Debatte beizutragen. Erst als Maria Sibylla ihr vorschlug, sie solle nirgendwo hingehen, keine Fremden treffen, sich aber im eigenen Haus umtun und mehr darüber zu erfahren, warum Beata entlassen worden war, stimmte sie zu. Fast erleichtert meinte sie endlich: »Das geht, das kann ich. Ich kümmere mich um alles, keine Sorge.«
»Es wäre hilfreich zu wissen, wer ihr nächster Arbeitgeber gewesen ist. Meinst du, das kannst du rauskriegen?«, fragte Maria Sibylla.
»Wenn Mama es weiß, bestimmt.«
Die Malerin nickte. »Also los.«
Schon verließ die Jungfern-Companie samt Lehrerin das Haus. Mit wehenden Umhängen fegten sie in breiter Front über den Platz und am Dürerhaus vorbei. Die Nachbarin mit ihren Mägden kam gar nicht schnell genug dazu, das Fenster zu öffnen, um sich die Angelegenheit gründlich anzusehen. Umso eingehender sollte sie später am Brunnen besprochen werden.
Für Maria kam der Schwung schon nach wenigen Ecken zum Erliegen. Als das Nürnberger Rathaus mit seiner Renaissancefassade sichtbar wurde, nahm sie Bärbel bei der Hand. »Du musst nicht mitgehen«, murmelte sie. Denn was sie sich selber vorgenommen hatte, war der schwerste Teil der Aufgaben. Nach Barbaras Worten hatte der Rat das peinliche Verhör des gefangenen Italieners auf heute angesetzt, auf die Stunde vor Mittag. Sie wollte im Verborgenen lauschen.
»Die lassen dich doch niemals rein.« Barbara klang stolz und selbstbewusst. Endlich einmal hatte sie eine wichtige Rolle zu spielen. »Lass mich nur machen«, meinte sie und tätschelte die Hand ihrer Lehrmeisterin mütterlich. Tatsächlich übernahm sie die Führung, als sie von den Wachen aufgehalten wurden. »Mein Vater ist drunten im Loch«, erklärte sie. »Er bespricht sich noch mit dem Henker und will, dass ich ihm die Fragenliste bringe, die der Herr Magister für das Verhör ausgearbeitet hat. Er hat sie in der Kammer liegen lassen.«
Die »Kammer«, ohne weitere Bezeichnung, war das Zimmer über der Kapelle, von dem aus Ratsmitglieder ungesehen durch einen Schacht das belauschen konnten, was unten in der Folterkammer vor sich ging.
»Er hat die Liste liegen lassen«, wiederholte Barbara leise und knetete den Saum ihres Umschlagtuches.
Die Wache lächelte über ihre Verlegenheit und winkte sie herein. »Aber beeil dich, Mädchen.«
Barbara strahlte über ihr ganzes Mäusegesicht. »Danke, das hat der Vater auch gesagt.«
Der Wächter lachte. »Der Rat Nützel ist ein strenger Mann, das ist bekannt. Na, na, schon gut«, fügte er an, als Bärbel über und über rot wurde. »Wird schon alles gut gehen.«
Bärbel tat, als brächte sie nur ein Nicken zustande. Sie ließ es zu, dass der grauhaarige Mann mit dem väterlichen Lächeln voller Zahnlücken ihr auf
Weitere Kostenlose Bücher