Todesfalter
rechts begann, wechselte sie irgendwann im Eifer zur Linken über, und wenn man sie zur Ordnung rief, verwirrte sie sich manchmal so sehr, dass sie auf die Frage, wo denn links und wo rechts sei, keine vernünftige Antwort mehr geben konnte.
Maria tat sie dann leid, ihr selbst war es gar nicht so wichtig, welche Hand ihr Kind zu Hilfe nahm, seit sie sah, wie schön Lenchen die Buchstaben auch mit der Linken formte, den Pinsel führte sie damit ebenfalls nicht schlecht.
Prompt kam der Kommentar: »Was, du nimmst die schlechte Hand? Die gottferne, böse?«
Johanna Helena hob den Kopf und blinzelte den Mann an. »Böse?«, fragte sie erstaunt und dachte dann nach. Sie legte die Linke auf ihr Herz, denn so hatte Maria ihr das beigebracht, um die Verwirrung in ihrem Kopf zu lösen: Da, wo das Herz schlägt, da ist links. »Aber wenn ich Jesus im Herzen trage«, fragte sie, langsam und nachdenklich, »dann ist die Linke doch viel näher an ihm dran. Wie kann die dann schlecht sein?«
Die Ohrfeige kam so schnell, dass Maria Sibylla es nicht mehr verhindern konnte. Sie sprang auf und zog ihr weinendes Kind an sich, prüfte die rote Stelle auf der Wange, putzte ihm die Nase, umarmte es und schob es hastig zur Tür hinaus. »Anna«, rief sie in den Flur, »Lenchen sucht dich.« Dann atmete sie dreimal tief aus und ein, ehe sie sich zu dem Diakon umwandte. Dieser war aufgestanden. Groß und drohend stand er vor Maria.
Ihre Stimme zitterte, aber sie wusste, was sie sagen würde. »Man schlägt ein Kind nicht dafür, dass es in seiner Unschuld eigene Gedanken entwickelt, und auch nicht dafür, dass es Fragen stellt. Man führt mit Verständnis sein Denken auf die richtigen Wege, und man gibt ihm Antworten, so man welche hat.«
»Das ist also Eure Erziehung.«
»Ja. Und ich werde mein Kind nirgendwo hinschicken, wo es eine andere erfährt. Junge Pflanzen müssen gepflegt und nicht zertreten werden.«
»Kinder brauchen eine harte Hand, vor allem Mädchen. Denn sie stehen der Gnade Gottes von Natur aus ferner. Sie haben das Böse in ihrem Wesen, und der Gärtner tut gut, der hier das Unkraut beizeiten ausreißt.« Er hob eine seiner großen Hände und ballte sie zur Faust, als umschließe er ein Büschel Gras, um es just aus dem Boden zu reißen. In seinen Augen stand etwas, das Maria zurückzucken ließ.
»Aber …«, wollte sie dagegenhalten. Dann kam ihr ein Gedanke: »Hasst Ihr alle Frauen so sehr, Diakon?«
»Nicht mehr als gottgefällig. Worauf wollt Ihr hinaus, Gräffin?«
Das wusste Maria selber noch nicht. Aber in ihrem Kopf arbeitete es: Beata gehörte nicht zum Kreis um Sebald, sie stammte aus Johannis, aber sie hatte in der Stadt gearbeitet. Und sie war mit Andreas zusammen gewesen. Sie wusste, wie wenig diskret ihr Mann mit seinen Liebschaften umging, die leidige Nachbarschaft hatte sie nie darüber im Unklaren gelassen. Es war gut möglich, dass der Diakon Beata mit ihm gesehen hatte. Und wenn, dann sicher in keinem vorteilhaften Augenblick. »Kanntet Ihr eigentlich …«, begann sie bereits.
Aber der Diakon ließ sie nicht ausreden. »Achtet auf Euren Wandel, Gräffin. Noch ist es Zeit zur Läuterung.« Mit diesen Worten verließ er die Küche.
Maria Sibylla blieb zurück mit einer Wut, die ihr bitter im Hals steckte. Erst nach einer Weile verflüchtigte sie sich und ließ sie unendlich müde zurück. Maria sank an den Küchentisch. Das alles war einfach zu viel für einen Tag. Überall sah sie inzwischen potenzielle Mörder, selbst in einem Geistlichen, der doch über jedem Verdacht stehen sollte. Wahrscheinlich gingen einfach die Nerven mit ihr durch. Sie sprang auf, sie musste zu Lenchen, sehen, wie es dem Kind ging.
Es drängte sie, ihrer Tochter zu sagen, dass sie kein böses Mädchen war, dass sie nichts falsch gemacht hatte – im Gegenteil – und dass manche Menschen schlugen, wenn ihnen die Argumente ausgingen. Heuchlin war nur einer von vielen. Auch die Schule, in der Lenchen Lesen und Schreiben lernte, war kein Paradies. Mehr als einmal hatte sie schon überlegt, die Kleine zu Hause selbst zu unterrichten. Aber die Arbeit an dem Blumenbuch drängte, der Verleger fragte nach den Stichen. Sie arbeitete immer noch bei Andreas in der Werkstatt mit, wenn Not am Mann war, und das war es immer. Ihre Farben stellte sie selbst her und vertrieb sie, auch das ein unverzichtbarer Einnahmequell. Und dann waren da noch die Auftragsarbeiten für die Nürnberger Patrizierhaushalte, das eigene Haus … Nein,
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