Todesfalter
still, so still und friedlich, wie sie es sich erhofft hatte. Die Schritte des Nachtwächters waren verhallt, ebenso sein Ruf. Von Zeit zu Zeit hörte sie den Flügelschlag eines Nachtvogels und seinen heiseren Schrei. Sie erkannte ein Paar Käuzchen, von dem sie wusste, dass es in dem großen Baum an der Burgmauer nistete. Hier und da raschelte das Gras.
Maria setzte sich und war erstaunt, wie kalt sich die Halme unter ihren Fingern anfühlten. Hier war der Weg, dort ließen sich die Steine erahnen, mit denen sie das Kräuterbeet eingefasst hatte. Ein paar davon, schöne bunte, hatte Andreas ihr von seiner Italienreise mitgebracht, damals, als er um sie gefreit hatte. Er war in die Welt gezogen, und sie hatte daheim gewartet und sich der Kiesel gefreut.
Salbei und Minze wuchsen in dem Beet; sie konnte es in der Nachtluft riechen. Petersilie und Melisse. Hinten an der Mauer hatte sie Brennnesseln stehen lassen, der Raupen wegen. Brombeeren waren da und eine kleine Weinlaube, auf deren Bank sie einmal ein fremdes Tüchlein gefunden hatte, ohne den Umstand Andreas gegenüber groß zu erwähnen. Egal, sie würde dort heute ohnehin nicht hingehen. Diese Ecke hier, mit dem Rücken an den Stein gelehnt, der die Wärme eines ganzen Tages gespeichert hatte, war ihr gerade recht.
Ich muss verrückt sein, dachte Maria Sibylla sich. Hocke hier wie eine, die keine Heimat hat.
Aber hier spannte sich ein weites, von Sternen funkelndes Firmament über ihr, nicht der muffige Betthimmel, unter dem sich der Schlafdunst ihres Mannes staute, hier konnte man frei atmen. Hier wurde sogar die Erinnerung schwächer an die Unterredung mit diesem Hoffmann, gestern im Rathaus.
Dass Andreas darauf verfallen war, mit so einem zusammenzuarbeiten, verstand sie nicht. Der Mensch jagte einem doch einen Schauder über den Rücken, gerade in seiner Freundlichkeit. Denn freundlich war er gestern geblieben, die ganze Zeit über. Nicht ein böses Wort hatte er zu ihr gesagt. Und doch war die ganze Zeit völlig klar gewesen, dass er etwas von ihr verlangte. Und dass er es zu bekommen gedachte. Auch dass ihr Leben in dieser Stadt keine Kupfermünze wert wäre, sollte sie je wagen, sich ihm zu widersetzen. Kurz überlegte sie auch, ob es Barbara oder Clara gewesen war, die zu Hause über ihren Verdacht gegen Hoffmann geplaudert hatte, verwarf die Gedanken aber als sinnlos. Sie durfte den Mädchen keinen Vorwurf machen. Sie waren zu Gehorsam erzogen worden. Und diese Sache hier erforderte Mut. Mehr, als sie selbst für möglich gehalten hatte.
Maria wusste nicht, woher sie dann doch die Courage – oder war es nur kindischer Trotz gewesen? – aufgebracht hatte, unmittelbar nach dieser Unterredung bei der Fürstin vorzusprechen. Sie wollte Magdalenas Aussage überprüfen, Beata sei nach ihrem Rauswurf im Hause Fürst bei Hoffmann gewesen. Der Verleger hatte in der Ratsstube sich jede erdenkliche Mühe gegeben, ihr das Gegenteil zu versichern, und ihr klar zu verstehen gegeben, dass die Suche nach Beatas Mörder für sie beendet sei. Er hätte ihre Hartnäckigkeit als puren Affront aufgefasst. Denn auch wenn es Maria gelang, vor sich selber gute Gründe für ihr Vorgehen zu finden, der Rat würde keinen davon akzeptieren.
Ein Vogel rief, es hörte sich an wie ein Kichern.
Maria zuckte zusammen. Lach du nur, dachte sie. Aber sie fand nicht zu ihrer Ruhe von eben zurück. Hinter der Mauer knackte etwas. Ein Tier, sagte Maria Sibylla sich, eine Maus oder eine Ratte. Irgendetwas lief da und raschelte herum. Unwillkürlich zog Maria die Füße an sich heran und hob ihre Hände vom Boden. Sie wollte nicht näher mit dem in Berührung kommen, was da in der Dunkelheit auf sie lauerte. Eine Eule, überlegte sie fieberhaft, eine Schlange? Sie wäre gerne aufgestanden, aber dann hätte ihr Kopf die Mauer überragt, und was auch immer es war, es befand sich noch jenseits der Gartenumfriedung und hatte sie vielleicht noch nicht bemerkt. Also duckte Maria sich in eine unbequeme Hocke.
Da, jetzt musste es dort hinten sein, bei der Baumreihe. Angestrengt starrte sie in die Dunkelheit, die sich aber mit bloßer Willenskraft nicht durchdringen ließ. Ihre Angst, die langsam in ihr hochkam, ließ alle Umrisse unscharf werden. Am liebsten hätte sie gerufen: Heda! Ist da wer? Aber dann hätte sie vor sich selber zugeben müssen, dass dort ein Mensch sein könnte, heimlich bei Nacht und verborgen, ein Mensch, der sie belauerte. Noch immer ging ein Frauenmörder frei in
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