Todesfalter
später beim Heimkommen von freundlichem Licht empfangen zu werden. Dann huschte sie hinaus in die Nacht.
»Kind, kannst du nicht schlafen?« Frau Fürst hielt zögernd die Lampe hoch und leuchtete in Magdalenas Gesicht. Das Mädchen hockte auf dem Boden, den Rücken an der Wand, die bloßen Füße gegen den polierten Nussbaumschreibtisch gepresst. »Du wirst dir noch den Tod holen. Da herin ist es doch ganz kalt.«
Das Arbeitszimmer ihres Mannes wurde seit seinem Tode nicht mehr benutzt. Zwar machten die Mägde noch regelmäßig sauber, aber wenn sie fertig waren mit Fegen und Wischen, dann schlossen sie sorgsam die Tür, und der Raum versank wieder in Stille. Eine Weile hatte Frau Fürst mit dem Gedanken gespielt, hier ein Zimmerchen für sich selbst einzurichten, mit netten Möbeln und Dekorationen, wo sie Freundinnen zum gemeinsamen Sticken und Klöppeln einladen konnte. Als ein Rest dieses Plans lagerte auf dem Tisch noch eine Kiste mit Klöppelgarn. Das Vorhaben hatte sich zerschlagen, und jetzt war es nur noch Magdalena, die von Zeit zu Zeit herkam und sich hier versteckte.
»Bist du schon öfter …?«, begann Frau Fürst, brachte es dann aber doch nicht fertig, die Frage zu formulieren. Zu gruselig war der Gedanke, das Kind könnte jede Nacht hier hocken.
Als Paul Fürst, ihr Mann, sich damals umgebracht hatte, war das ein Schock für sie gewesen, wenn sein melancholisches, unstetes Wesen auch immer schon schwer über dem Haushalt gehangen hatte. Ohne ihre Verwandten hätte sie nicht gewusst, wie weitermachen. Es war schwer gewesen, das Geschäft weiterzuführen und einen Nachfolger zu finden, ihre Versorgung zu regeln und mit dem Rat zu verhandeln. Aber alles war ihr wohlgelungen, und mit den fahren, in denen das Gesicht eines Mannes, den sie nie recht verstanden hatte, vor ihrem inneren Auge immer weiter verblasste, war das Gefühl in ihr gereift, dass sich doch alles zum Guten gewendet hatte. Alle Aufgaben waren bewältigt, die das Leben ihr gestellt hatte, und sie konnte zufrieden mit sich sein.
Auch Magdalena schien sich prächtig zu entwickeln. Sie war ein hübsches Kind gewesen, still und einfach, und war nun zu einer noch hübscheren jungen Frau herangewachsen, deren Fröhlichkeit schon mehrfach bewundert worden war. Nur die Nächte … das heißt, Frau Fürst wusste ja nicht, ob es alle Nächte waren. Sie selbst schlief tief und fest und gut. Besser vielleicht, man rührte nicht daran, Magdalena schien es ja an nichts zu fehlen.
Sie betrachtete ihre Tochter, die mit ihrem zerzausten Zopf und den bloßen Füßen wieder aussah wie ein Kind. So hockte sie auch da, zusammengekrochen, die Arme um die Knie geschlungen, den Blick auf einen Punkt im leeren Zimmer geheftet, an dem nichts zu sehen war. Die Fürstin hob die Laterne höher. Nein, da war nichts, nichts als Luft und Staub, mehr, als hier sein sollte. Sie machte sich im Geist eine Notiz, mit Margarete zu schelten, der Magd, die ihre Pflichten hier nach all den Jahren wohl nicht mehr ernst genug nahm.
»Was starrst du denn so, Mädchen?« Sie stupste Magdalena mit dem Pantoffel an. »Da gibt’s doch nichts. – Was sagst du?«, fragte sie nach, als ihre Tochter etwas vor sich hin murmelte.
Magdalena wandte ihr das Gesicht zu, die Pupillen so groß, dass es zum Erschrecken war. Beinahe schwarz wirkten ihre Augen und leuchteten seltsam im Licht der Lampe. Sie öffnete die Lippen, sagte dann aber nichts und lächelte nur.
Niemand hatte damals der erschütterten Fürstin im Einzelnen erklären wollen, wo genau ihr Mann sich erhängt hatte. Niemand hatte ihr den baumelnden Körper gezeigt. Als er abgenommen wurde, hatte sie unter der Wirkung eines betäubenden Tranks auf ihrem Bett gelegen. Magdalena aber hatte nicht geschlafen. Ihre Augen waren nicht blind gewesen vor Tränen, sondern trocken und weit geöffnet. Sie hatten in ihrem spiegelnden Grün das Bild bewahrt.
»Was möchtest du sehen, Kind?« Frau Fürst gähnte erleichtert, als Magdalena gehorsam aufstand und sich den Zopf erneut um den Kopf wand. Sie zupfte ein wenig herum, bis die Schlaffrisur wieder passte, gähnte erneut, laut und herzhaft. Dann machte sie sich auf den Weg zurück ins Bett. Über die Schulter sagte sie: »Was du aber auch immer treibst, Kind. Am Ende schlafwandelst du.«
»Tu ich nicht, Mama.« Magdalena hörte sich nicht anders an als sonst jedes genervte, von der Überbesorgtheit seiner Mutter gequälte junge Mädchen.
26
In Maria Sibyllas Garten war es
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