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Todesfalter

Todesfalter

Titel: Todesfalter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tessa Korber
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Nürnberg um. Was, wenn nun der Mörder sie aufsuchte?
    Unfug!, schalt Maria sich selbst, richtete sich rasch auf und strich sich mit beiden Händen das Laub vom Umhang. Wenn sie nur mehr übergezogen hätte. Was hatte sie nur geritten, um diese Zeit halb nackt durch die Gegend zu schleichen! Wenn es nun ein Betrunkener war, irgendein Strolch, der den Weg in das Loch nicht fand, das er sein Zuhause nannte?
    Da, hatte sich dort nicht etwas bewegt? Sie kniff die Augen zusammen. Einen Moment lang meinte sie, ein weites, bodenlanges Gewand zu erkennen. Einen Frauenmantel, eine Soutane? Doch sie war sich nicht sicher; je länger sie hinstarrte, desto mehr verschwamm das Bild vor ihren Augen.
    Wenn der schattenhafte Umriss dort zu einem Menschen gehörte, dann stand dieser genauso reglos wie sie in der Dunkelheit und wartete – worauf? Darauf, dass sie einen Fehler machte? Warum rührte er sich nicht, gab sich nicht zu erkennen?
    Hoffmann fiel ihr erneut ein, der so eindringlich mit ihr gesprochen hatte. Zwar war jeder seiner Sätze nur eine Andeutung gewesen, eine Banalität, die alles und nichts bedeuten konnte. Aber es war ihm gelungen, in ihr Angst zu wecken und das Gefühl heraufzubeschwören, sie befinde sich in einer Gefahr, der sie nur durch äußerste Vorsicht entgehen könne.
    »Man muss auf seine Schritte achten, Gräffin, auf seine Worte und Taten.« Ja, so hatte er geredet, der Drucker, ihr nicht in die Augen gesehen und mit dem Sandstreuer auf Nützeis Schreibtisch gespielt, einem schweren Stück aus Silber, das eine Dämonenfratze zeigte.
    Nun starrte diese ihr tausendfach aus dem Gewirr der Äste entgegen. Schon meinte sie, das Knurren der Bestie zu vernehmen, zwischen Knarzen und Knistern, Rauschen und Scharren.
    Da, war da nicht ein Schmatzen gewesen? Ein Rudel Hunde begleitete manchmal den Henkersknecht, wenn er jemand zur Hinrichtung leitete oder aus der Stadt trieb. Es kursierten grässliche Gerüchte darüber, was diese Tiere fraßen. Ihre Zähne waren gelb, ihre kleinen Augen blutunterlaufen. Hatte Hoffmann sie auf ihre Spur gesetzt? Wollte er seine Widersacherin auf diese Weise loswerden?
    Maria lauschte angestrengt, vernahm aber nichts als das Rauschen ihres Blutes in den Ohren. Da, endlich eine Bewegung, sie war sich nun sicher. Dort drüben stand jemand – und es war kein Hund, sondern ein Mensch, es war kein Dämon, es war ein Mann. Und im selben Moment meinte Maria auch erkennen zu können, wer es war. »Heuchlin!«, rief sie.
    Der Schatten verschwand hinter einem Stamm. Oder war nur ein Ast vom Wind bewegt worden? Maria stand stocksteif da. Sie wartete und wartete, doch es war nichts zu hören, nichts zu sehen. Dennoch schien ihr, als hätte sie mit ihrem Ruf ein Gespenst beschworen, das nicht mehr weichen wollte: die gebeugte Gestalt des Diakons, sein kranker Geruch, das Feuer in seinen Augen und sein Hass auf alles, was weiblich war. Mit einem Schaudern erinnerte sie sich an seinen festen Griff um ihren Arm. Hatte er so an Beatas Hals gefasst? Maria musste schlucken.
    Endlich entschloss sie sich für den Rückzug. Langsam, als könnte jede ihrer Bewegungen etwas auslösen, wickelte sie sich in ihr Schultertuch und ging zum Tor. Es quietschte leise, als sie es öffnete. Das alte Holz unter ihren Fingern war kalt von der Nachtluft. Maria bemerkte jetzt erst, wie sehr sie fror. Als sie langsam einen Fuß vor den anderen setzte, schlotterten ihr die Knie. Sich umzusehen wagte sie nicht. War da nur ihr eigener Schritt zu hören, oder gab es noch einen anderen? Maria hätte stehen bleiben müssen, um es herauszufinden, stattdessen wurde sie immer schneller. Blind und taub, gehetzt von ihren Albträumen, rannte sie am Ende fast über den Milchmarkt, fand ihre Haustür, die sie unversperrt gelassen hatte, drückte mit Wucht beide Hände dagegen, zuckte zusammen bei dem dumpfen Knall, mit dem sie gegen die Wand schlug und stolperte mit letzter Kraft über die Schwelle. Schwer atmend warf sie die Tür wieder zu und verriegelte sie, so schnell sie konnte.
    Im Haus blieb es still. Niemand schien aufgewacht zu sein. Die Lampe am Fuße der Treppe blakte vor sich hin. Maria Sibylla nahm sie dankbar auf und hielt sie hoch. Licht, sie wünschte sich Licht, so viel Licht wie möglich, damit die Dinge wieder vertraut würden. Als sie die Flamme höher gedreht hatte, lächelte sie – bis sie ihre Hände sah. Sie waren blutig rot. Mit einem Aufschrei warf Maria die Lampe von sich. Das Öl floss über den

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