Todesfalter
aus. Hol mir eine Kiste, Anna.« Sie wandte sich um und ließ ihren Blick im Kreis wandern, als hätte sie einen Ring von Zuschauern um sich gesammelt. »Dann hat das nette Präsent unserer Nachbarn doch wenigstens einen Nutzen.«
»Ihr wollt das Ding doch wohl nicht aufheben?«, fragte Anna entgeistert. Doch zumindest war das hier nicht mehr gespensterhaft, sondern höchst vertraut. Schon auf halbem Weg in die Vorratskammer schimpfte sie beruhigt vor sich hin: »In meine Küche kommt mir das Ding aber nicht.«
»Ich befestige ein Netz über der Kiste und stell sie in den Hof«, versprach Maria. Dann wandte sie sich an ihre Tochter. »Und du? Solltest du nicht längst im Bett liegen?«
»Du warst nicht da.« Lenchen war schon wieder ruhiger. Neugierig stupste sie mit den Fingern die Flügelspitzen der Krähe an, die so schöne blauschwarze Federn hatte. »Wo warst du?«
Maria seufzte. Darüber wollte sie nicht sprechen, nicht heute Abend. »Schlüpf unter die Decke. Ich komme gleich.«
»Mama?«
»Ja?«
»Behältst du die Ohrringe an? Ich mag es, wenn sie schaukeln.«
Maria versprach es. Sie trat an den Herd und setzte Wasser auf für einen Kräutersud, der sie beruhigen sollte, immer verfolgt von Annas wachsamem Blick. »Hast du gesehen, wer es war?«, fragte sie nebenbei.
Anna schüttelte den Kopf.
»Macht nichts, wir wissen ja, wer sie dazu angestiftet hat.«
»Ich …« Anna war drauf und dran, die Sache mit dem Diakon zu beichten, dass sie ihn ein wenig herumgeführt hatte gegen sein Versprechen höheren Heiles.
Aber Maria Sibylla winkte ab. »Die beruhigen sich auch wieder.«
»Wird das noch schlimmer?«, fragte Anna.
Maria tauchte die Hand in das warme Wasser. Ach, das tat gut. »Kann es denn noch schlimmer werden?«, fragte sie.
In diesem Moment knarzte die Tür erneut. Sie hörten schon am schweren Schritt, dass Andreas Graff nicht nüchtern heimkehrte. Er redete vor sich hin und schrammte die Flurwände entlang. Als er in der Küchentür stand, schaute er von einer zur anderen. »Was sind denn das hier für trübe Gesichter!« Gleich darauf winkte er ab, seine Miene verzog sich. »Immer sind hier so trübe Gesichter. Gar kein Spaß. Gar kein Grund zum Feiern!« Das letzte Wort schrie er beinahe – und hatte seinen Kummer auch schon wieder vergessen. Er wankte herein, um nach dem Krug zu suchen, in dem immer etwas Weinbrand war.
Maria Sibylla stellte sich ihm in den Weg. »Du solltest schlafen gehen«, sagte sie.
»Ich«, antwortete er und dachte eine Weile nach, »ich habe dem Rat einen Stich verkauft. Eine Ansicht der Stadt.« Er rülpste. »Jawoll. Von Johann Andreas Graff.« Pathetisch schrieb er es mit der Hand in die Luft, als graviere er es für die Ewigkeit.
»Das ist schön«, sagte sie wie zu einem Kinde.
Er ließ die Schultern hängen und wandte sich ab. »Und du, Marie …«
Seine Frau zuckte zusammen, denn diese Koseform hatte er bislang nur in ihren vertrautesten Momenten gebraucht. Sie hier in der Küche in Gegenwart der Magd zu hören, tat ihr weh.
Er tapste drei Schritte auf sie zu. »Beim Hoffmann, da gab es nie eine Magd, die Beatrice hieß oder so. Das kann ich auf meinen Eid nehmen.« Er machte Anstalten, die Schwurhand zu heben.
Maria schaute ihn an. »Ich weiß«, sagte sie, und fast hätte sie gelächelt, als sie sein verdutztes Gesicht sah. Dann aber bemerkte sie, wie er die Brauen zusammenzog und Wut seine Züge verzerrte. »Du warst beim Hoffmann«, schrie er. »Du warst beim Hoffmann, du verdammte …« Andreas stolperte. Hatte er versucht, sie zu schlagen? Maria Sibylla wusste es nicht, instinktiv hatte sie einen Schritt beiseite getan. Er war aus dem Gleichgewicht geraten und hielt sich mit beiden Händen an der Tischkante fest.
»Geh schlafen, Andres.« Sie rächte sich mit der Liebkosung, die sie bislang für ihn aufgespart hatte. Nicht dass er es bemerken würde, dachte sie. Nicht dass er begreifen könnte, dass in diesem Moment ihre Ehe endgültig starb. Aus Zärtlichkeit war Mitleid geworden. Im besten christlichen Falle.
»Das hättest du nicht tun sollen!«, rief er noch von der Tür her. »Was hast du gemacht?«
»Gar nichts«, flüsterte Maria, nachdem er schon fort war. Als sie Annas entsetztes Gesicht sah, sprach sie weiter zur Magd, auch wenn es dieser nichts nutzen konnte, das alles zu wissen – allein um es laut auszusprechen und damit der Welt trotzig die Stirn zu bieten, sagte sie: »Ich war bei der Witwe Fürst.«
25
In dieser Nacht
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