Todesfalter
Boden, eine durchsichtige Flamme züngelte hinterher. Schon leckte sie am Rocksaum. Maria rannte schreiend in die Küche. Zum Glück fand sie gleich einen Eimer mit Sand. Sie packte ihn, kippte ihn mit Schwung auf das Unglück und löschte mit dem Rest ihren Rock, indem sie seinen Saum wie ein Kind mit Sand bestreute. Dabei fiel erneut ihr Blick auf ihre Hände, und jetzt wusste sie mit einem Mal, woher das Rot kam, das sie eben so erschreckt hatte: Es waren Reste des Vogelbluts, die noch an der Tür geklebt hatten.
So saß sie lange da, beschmutzt, verschmiert, verkohlt. Und sie dachte an die Worte, die der kranke Arzt ihr im Vorzimmer des Rates ins Ohr geflüstert hatte. Sie hatte ihre Bedeutung zunächst nicht verstanden. Aber nun empfand sie die Drohung, die darin lag mit jeder Faser: Traue niemandem.
27
»Meine Damen!« Maria Sibylla Merian begrüßte ihre Jungfern-Companie mit einer energischen Fröhlichkeit, die die Mädchen erstaunte. »Nehmt Platz, holt eure Arbeiten heraus.« Sie ging im Halbkreis die einzelnen Plätze ab. »Barbara, du bist fertig? Schön, dann setz dich bitte hiermit auseinander.« Mit diesen Worten reichte sie dem Mädchen ein Blatt mit dem kolorierten Stich einer blauen Gartenlilie. »Das wird deine neue Vorlage, einverstanden?«
Maria Sibylla wartete die Antwort nicht ab. Auch Dorotheas vorsichtige Frage, wie es denn beim Rat gewesen sei, wischte sie mit tatkräftigen Anweisungen beiseite, ehe sie sich wieder in Wolken von Stoff niederließ, um selbst weiterzuarbeiten. Der Auftrag für das Zelt war vor wenigen Wochen hereingekommen und Maria froh darum, auch wenn es eine elende Arbeit war. Wenn es nach ihr ginge, hätte sie gern ein gut bezahltes Bürgerporträt oder Altarbild gemalt. Aber solch lukrative Arbeiten behielt die Handwerkerordnung ja den Männern vor. Bemalte sie also Zelte. Maria unterbrach sie nur, um die Handarbeiten der Mädchen zu korrigieren und ein paar Hinweise zu geben. Danach wurde es still.
»Es ist so viel«, meinte sie irgendwann. Sie zerrte an den Zeltbahnen, um das Stück Stoff, das vor ihr auf der Arbeitsplatte in den Rahmen eingespannt war, in den richtigen Winkel zu drehen. »Man bekommt immer nur einen kleinen Ausschnitt auf einmal vor die Augen. Und doch ergibt es am Ende ein vollständiges Bild.«
Niemand antwortete ihr. Alle fädelten und stickten, doch die Blicke gingen hin und her. Was Maria damit hatte sagen wollen, verstand zwar keine von ihnen so recht, aber dass es doppeldeutig gemeint war und dass ihre Lehrerin unter der aufgesetzten Fröhlichkeit ihren Ärger verbergen wollte, war allen nur zu klar. Vor allem Barbara fühlte sich unwohl in ihrer Haut. Sie hatte gewusst, dass ihr Vater Maria vorladen und mit Hoffmann konfrontieren würde, und doch hatte sie es nicht gewagt, ihrer Freundin und Lehrerin eine kurze Warnung zu schicken.
»Maria«, begann Dorothea, als das Schweigen im Raum unerträglich wurde, »wir hätten mitgehen müssen … zum Rat, meine ich … Ich …« Sie verhedderte sich in dem, was sie sagen wollte.
»Nein, Susanna, so geht das nicht«, unterbrach sie Maria, als hätte sie nichts gehört. Sie wandte sich der koketten Jungmalerin zu und erklärte: »Für einen repräsentativen Satz Servietten ist eine Rose als Motiv zu intim. Wähle Narzissen aus, oder Hyazinthen, ihr weltlicher Charakter passt besser. Spar dir die Rosen und Veilchen für die Stammbücher auf.«
Dorothea, die sich mitgetadelt fühlte, senkte kleinlaut den Blick.
»Frau Gräffin …«, begann Barbara als Nächste.
»Was ist?« Maria schenkte allen einen unschuldigen Augenaufschlag. »War es nicht euer eigener Entschluss, mit dem Mördersuchspiel aufzuhören? Ihr wolltet euch doch lieber auf die häuslichen Tätigkeiten beschränken. Und jetzt macht euch auch das keinen Spaß mehr?«
»Wir hätten gar nicht erst mit der ganzen Sache anfangen dürfen, wenn wir sie nicht zu Ende bringen wollen.« Das war Clara, wie immer ruhig und vernünftig.
»Ach, jetzt geht das schon wieder los. Ihr wisst doch genauso gut wie ich, was Papa gesagt hat.« Barbaras Gesicht lief rot an.
»Ich habe ja nur gesagt«, beharrte Clara, »wir hätten gar nicht erst anfangen dürfen.«
»Dabei hat es so einen Spaß gemacht«, meldete Susanna sich zu Wort. Sie kämpfte nicht länger mit den Umrissen einer Hyazinthe, sondern warf ihre Stickarbeit auf den Boden. »Ich kann die Dinger nicht leiden«, verkündete sie.
»Du jetzt wieder.« Barbara war immer noch
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