Todesfalter
gesagt?«, wandte sie sich triumphierend an Maria.
Diese gebot ihr mit einer Geste, sich zurückzuhalten. Sie erhob sich, um Magdalena einen Schluck Wein mit Wasser gemischt anzubieten, und blieb vor dem Mädchen stehen, als es den Becher an die Lippen setzte.
Als sie getrunken hatte, fuhr Magdalena fort. »Nicht, was ihr alle denkt, was alle reden. Ich weiß doch, was die Leute sagen.« Sie lachte abfällig. »Nein, das ist mein Geheimnis, meins und Papas.« Sie reichte Maria den Becher zurück. »Er hat sich nie viel um mich gekümmert.« Als sie das sagte, sah sie wirklich aus wie ein kleines Mädchen. »Aber am Ende hat er mich ausgesucht. Und darauf bin ich stolz.«
»Wie meinst du das: ausgesucht?« ,fragte Dorothea dazwischen, die sich einfach nicht an das Schweigegebot halten konnte.
»Na, als seine Begleiterin.« Das Lächeln auf Magdalenas Gesicht verstärkte sich zu einem beunruhigenden Strahlen. »Erst habe ich ja nicht verstanden, was er da getan hat, als er plötzlich mit dem Stuhl herumhantierte und das Seil festmachte.«
Dorothea schlug sich die Hand vor den Mund. »Du hast …«, stieß sie dann hervor, verstummte aber sofort wieder. Es war nicht einmal nötig, dass Maria sie ermahnte. »Mein Gott.«
»Ich hab so gerne in seinem Schreibzimmer gespielt, da war es still und alles aus schönem Holz, ich hatte da ein Lager, ach was, mein Haus, zwischen seinem Schreibtisch und der Wand. Keiner hat mich da gefunden, keiner mich gesehen. Ich konnte Stunden dort zubringen und mich damit beschäftigen, wie das Licht über die Dielen wanderte. Oder mir Geschichten ausdenken und sie meiner Puppe erzählen. Papa hat mich nie verjagt. Wahrscheinlich hat er mich oft gar nicht bemerkt.«
»Und hat er dich an diesem Tag …?« Maria brachte ihren Satz nicht zu Ende. Es war eine Sache, keine Angst mehr vor der Wahrheit haben zu wollen, eine andere, die Wahrheit auszusprechen. Es war schlimmer, als eine Nadel in den Leib eines Falters zu treiben. Aber sie tat es. »Wusste er, dass du da bist?«
»Er hat mich angesehen!« Magdalena strahlte vor Stolz. Sie schaute von einer zur anderen. »Die ganze Zeit. Nur einmal hat er sich gedreht am Seil, weil seine Beine so zappelten, aber ich glaube, das wollte er nicht. Dann hat er mir wieder in die Augen geschaut.«
Dorothea stieß einen unterdrückten Laut aus.
Magdalena schien es nicht zu bemerken. »Und am Ende«, fuhr sie fort, »hat er gelächelt. So glücklich wie in dem Moment hat er im ganzen Leben nicht ausgesehen. Sein ganzes Gesicht hat sich dabei verzogen. Da wusste ich, dass ich es gut gemacht habe.« Sie schloss die Augen, als wiederhole sie die Szene im Geiste noch einmal. Sie wirkte vollkommen glücklich.
»Beata hat nicht gelächelt«, fuhr sie dann im kläglichen Ton eines beleidigten Kindes fort. »Dort in der Hecke, obwohl ich mich dicht über sie gebeugt habe.« Magdalena dachte nach und zuckte mit den Schultern. »Vielleicht war sie schon zu lange tot.« Sie strich mit den Händen über ihr Haar und das Halstuch. »Ich bin zu spät gekommen diesmal. Meinst du, das ist schlimm?« Das Mädchen hob den Kopf, um Maria vertrauensvoll anzusehen.
»Wann, Magdalena«, fragte ihre Lehrerin mit leicht zitternder Stimme, »wann warst du bei Beata in der Hecke?«
»Na, mit euch«, gab Magdalena schmollend zurück. »Ihr wart doch alle dabei.«
»Und daher hast du auch das Tuch?«, fragte Maria und streckte die Hand danach aus.
Magdalena wich zurück. »Das kannst du nicht haben, das ist meines. Ich behalte von jedem etwas. Von Papa hatte ich die Briefe. Beata hätte niemals darin herumwühlen dürfen.«
»Du gibst also zu, dass das da Beatas Halstuch ist?«
»Warum sollte ich nicht?« Magdalena wich Maria aus und trat vor einen Spiegel, der über der Truhe mit dem Getränkekrug hing. Mit schräg geneigtem Kopf betrachtete sie sich, den strengen, weißblonden Scheitel, den roten Schmollmund. »Es steht mir gut, findet ihr nicht?«
»Woher hast du es?« Dorothea hatte sich wieder gefangen und klang streng. Sie ignorierte Maria Sibylla, die heftig abwinkte.
Aber Magdalena ließ sich nicht stören. »Na, aus der Hecke«, sagte sie. »Es hat keine von euch was gesagt, als ich es genommen habe. Na ja«, sie kicherte, »ich war auch ganz schön geschickt.« Sie wandte sich um und schaute in die Gesichter ihrer schweigenden Freundinnen. »Glaubt ihr mir etwa nicht?«
29
Maria Sabina Pellerin, die Gattin Jakob Behaims, neigte sich über die Tischwäsche,
Weitere Kostenlose Bücher