Todesfalter
ist das draußen vor den Toren passiert.« Sie bekreuzigte sich. »Der Herr Dr. Peller ist zu spät gekommen, aber er hat sie wenigstens angezeigt.«
»Jetzt muss sie wohl ins Loch.« Die Magd sah sehr zufrieden aus. »Ach was, aufs Rad muss sie.«
»Die arme Frau.« Maria war nun doch berührt. Sie erinnerte sich noch gut der Zeit, als sie Lenchen erwartete. All die Hoffnungen in der Schwangerschaft, dann die Schmerzen der Geburt – um am Ende das gesunde Kind doch zu verlieren. Auf so eine Weise!
»Kinder sterben schnell.« Die Magd nickte zu ihrer Weisheit. »Meine eigene Mutter, Gott hab sie selig, hat drei begraben. Da sind Arm und Reich vor Gott ganz gleich.« Sie schien nicht wenig Befriedigung aus dieser Weisheit zu ziehen.
Maria verabschiedete sich so schnell sie konnte und eilte durch das Gewühl in den Gassen nach Hause. So viel Tod ringsum und die eigene Zukunft mehr als trübe. Es war alles zu viel für sie. Sie wollte alleine sein.
Stattdessen fand sie in der Küche ihr weinendes Kind vor. Maria nahm es in den Arm und tröstete es, wobei sie es doch am liebsten geschüttelt hätte, damit es schnell sprach. Aber es dauerte eine Weile, bis sie aus ihrer Tochter herausgebracht hatte, was geschehen war. Lenchen war aufgebrochen zum Katechismus-Unterricht im Hause Imhoff, an der Tür aber beschieden worden, dass sie künftig nicht mehr zu kommen brauche. Immerhin hatte man eine Magd angewiesen, sie beim Diakon in Sankt Sebald abzugeben.
»Er hat mich in die letzte Bank gesetzt, ganz alleine«, schluchzte Lenchen. »Und er hat erlaubt, dass die anderen über mich lachen. Sie haben gefragt, ob es stimmt, dass du Käse mit Maden sammelst und tote Mäuse mit Würmern drin. Ich habe gesagt, dass es bloß eine tote Krähe war.«
»Ist ja gut«, murmelte Maria, drückte die Kleine an sich und wiegte sie, bis sie sich ein wenig beruhigt hatte.
»Und da hat er mir mit einem Stock auf die Finger gehauen. Da.« Lenchen hielt ihr beide Hände hin. An denen war zwar keine Spur der Züchtigung mehr zu sehen, aber Maria blies dennoch darauf, rieb die Finger und ließ Johanna Helena ausprobieren, ob sich alle noch ordentlich bewegen ließen. »Du wirst einen Pinsel halten können«, versuchte sie das Kind zu beruhigen und lächelte es an.
Aber Lenchen verzog das Gesicht. »Ich will nicht mehr malen, niemals!« Mit diesem Ausruf sprang sie auf, rannte in ihr Zimmer und knallte die Tür zu.
Maria Sibylla reichte es. Sie schlang ihr Umhangtuch, das sie noch gar nicht hatte ablegen können, fester um die Schultern und machte sich daran, noch einmal aufzubrechen. Mit dem Diakon Heuchlin würde sie sofort reden. Ihr Kind so abzuschrecken von Bildung und Erziehung! Ihrer Kleinen den natürlichen Weg dazu verbauen, ihr die Augen für die Schönheit und Größe der Welt verschließen, aber selber abends beim Kerzenschein nach schönsinnigen Worten für Gedichtchen suchen. Oder des Nachts einsamen Frauen hinterherschleichen.
Als Maria die Hand schon auf der Klinke hatte, dachte sie grimmig, sie sollte vielleicht die tote Krähe, die noch immer im hinteren Hof vor sich hin stank, gleich mitnehmen und dem Diakon vor die Füße werfen. Mit Sicherheit hatte sie es doch ihm oder seinen willigen Helfern zu verdanken, dass das Tier an ihre Tür genagelt worden war. Denn was war der Geistliche denn selbst anderes als eine Angst um sich verbreitende, halb verweste alte Krähe? Am liebsten hätte sie ihn auch mit ihrem Verdacht konfrontiert. Aber sie wusste, sie konnte es nicht wagen, ihn auch nur im Entferntesten mit Beatas Tod in Verbindung zu bringen. Sie hatte nichts vorzuweisen als ihre Antipathie ihm gegenüber und ihren guten Namen. Der allerdings zählte derzeit in Nürnberg nicht allzu viel.
Und da war ja auch noch Magdalena. Sie war wie Barbara in letzter Zeit dem Unterricht bei ihr unentschuldigt ferngeblieben, sei es, dass ihr Geständnis sie reute, sei es, dass sie fürchtete, im Gesicht ihrer Lehrerin lesen zu müssen, dass diese ihr nicht mehr traute. Konnte sie Magdalena denn Glauben schenken? Maria Sibylla wusste es noch immer nicht. Sie war nicht überzeugt von der Schuld des Mädchens, wollte es nicht sein. So ein junges Ding, fast noch ein Kind, wenn auch mit krankem Gemüt, nein, das durfte nicht sein. Aber konnte sie denn Beatas Mörder weiter suchen, ohne auch in diese Richtung zu forschen? Durfte sie Verdächtigungen aussprechen gegen Menschen, die sie verabscheute, und stillschweigend die übergehen,
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