Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Todesfalter

Todesfalter

Titel: Todesfalter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tessa Korber
Vom Netzwerk:
denn er tat ihr leid. Es gab bereits einen Mann, mit dem sie zusammenlebte, wenn auch mehr schlecht als recht. Und es gab einen weiteren Mann, für den sie ihr Leben hergegeben hätte, wenn auch nur einen wahnwitzigen Moment lang. Für einen weiteren Bewerber war da kein Platz. »Herr Doktor, bitte.«
    Schuldbewusst schaute er zu Boden. Dann aber hob er den Kopf. »Aber ich werde sterben, wenn ich es nicht aussprechen darf.«
     
    »Das gnädige Fräulein ist in der Stickstunde.« Das war alles, was die Mädchen im Hause Imhoff erfuhren. Sie brachten nicht den Mut auf, Claras strenger Mutter oder gar ihrem Vater zu sagen, dass das nicht stimmte. Weniger, weil sie selber nicht wussten, wo sich ihre Freundin gerade befand, sondern vor allem weil sie dann hätten zugeben müssen, dass sie alle ihre Zeit bei Maria Sibylla nicht mit gottgefälligem Sticken verbrachten. Die Suche nach einem Mörder oder nach einem verschwundenen Mädchen konnte wohl kaum als angemessene Tätigkeit für christliche Jungfern angesehen werden.
    »Also müssen wir jetzt doch als Nächstes zu meinem Papa«, stöhnte Barbara.
    »Das können wir Maria Sibylla nicht antun«, entgegnete ihr Dorothea.
    »Aber du hast doch gesagt, dass wir zu ihm gehen, wenn sie nicht hier ist«, warf Barbara ein.
    Dorothea wurde rot. »Na ja, ich dachte, dass du mit ihm reden würdest. Und überhaupt. Ach, Herrgott noch mal, ich weiß gar nichts mehr.«
    Magdalena war fort und Clara, die kluge Clara, die immer das rechte Maß zu halten verstand, war ebenfalls verschwunden. Maria Sibylla suchte nach Schmetterlingen. Wer sollte ihnen jetzt sagen, ob sie nichts als ein Haufen hysterischer Weiber waren oder zu Recht besorgte junge Mädchen? Wer konnte ihnen jetzt sagen, was sie als Nächstes tun sollten?
     
    »Das klingt mir ein wenig zu melodramatisch«, sagte Maria. Das heißt, sie wollte es sagen. Ihr Mund allerdings war trocken und ihre Zunge wie geschwollen. Sie brachte keinen Ton heraus und musste sich wieder setzen. Nur einen Moment, sagte sie sich, einen Augenblick der Ruhe. Dann sank sie zurück auf die Bank. Und wenn er mir weiter von seinen Gefühlen erzählt, dann halte ich mir einfach die Ohren zu. In ihrem Kopf brauste es. Sie hätte nicht herkommen sollen. Was war das nur?
    »Das sind die Kräuter«, beantwortete Peller ihre nur in Gedanken gestellte Frage. Er hatte sie wohl auf ihrem Gesicht abgelesen. »Sie lähmen die Muskulatur. Aber keine Angst, der Geist bleibt bei allem hellwach.« Er hob die Hand und strich ihr mit zitternden Fingern über das Haar. »Eines meiner Mitbringsel aus Brasilien. Ihr habt Euch doch dafür interessiert, nicht wahr?«
    Maria saß da, ohne sich zu rühren. Sie wollte ihm Einhalt gebieten, aber sie konnte es nicht. Ihre Arme wollten ihr einfach nicht gehorchen. Ihre Beine waren zu schwach, um ihr Gewicht zu tragen. Nicht einmal den Kopf konnte sie wegdrehen. Mit großen Augen saß sie da und ertrug seine Geste. Ihr Mund öffnete sich für ein Nein, das nicht kam.
    Der Arzt liebkoste sie weiter, fuhr ihr mit dem Finger sacht über die Stirn, über die Wange. Dabei betrachtete er aufmerksam ihr Gesicht. Was er darin las, befriedigte ihn nicht. »Also auch Ihr.« Peller klang bitter. Er trat einen Schritt zurück, um seine Beute zu betrachten. »Beata hätte sich wahrhaftig nicht so aufzuführen brauchen. Die hatte doch mehr als einen Geliebten. Was kam’s der noch auf einen mehr an? Froh hätte sie sein sollen: immerhin ein Gelehrter mit Amt und Einkommen. Aber nein. Hat gezappelt und geschrien und ein Gewese gemacht.«
    Maria saß noch immer da wie eine Statue. Nur ihr Blick wanderte von Pellers Gesicht hinab zu seinen Händen, langfingrigen, kräftigen Händen, die eben noch über ihr Haar gestrichen waren. Im Geiste sah sie, wie sie sich um den Hals eines Mädchens legten.
    »Und jetzt also Ihr.« Peller klang bitter. »Versteh einer die Weiber! – Erst freundlich tun. All das Interesse, das Mitgefühl, der liebe Ton. Und jetzt pass ich dir nicht, oder was?« Er ging in die Knie, um ihr direkt in die Augen sehen zu können. »Ach, Brasilien« ,ahmte er ihren begeisterten Tonfall nach, »und Geht es Euch nicht gut, Herr Doktor? Pah!« Er schnaubte. »Man kann einem Mann nicht erst so kommen und ihn dann fallen lassen wie eine heiße Kartoffel. Was bildest du dir eigentlich ein? Aber dir werd ich’s zeigen.«
    Die Ohrfeige, die er Maria Sibylla versetzte, warf sie seitlich auf die Bank. Hilflos blieb sie dort liegen wie

Weitere Kostenlose Bücher