Todesfessel - Franken-Krimi
eine lange blonde Lockenmähne mit einer kurzen Kopfbewegung nach hinten schleudern! Ein gellender Schrei, das Handy rutschte ihr aus der Hand, in panischer Angst flüchtete sie zurück Richtung Straße, zurück auf den erleuchteten Gehsteig.
»Hey, was ist denn …« Kopfschüttelnd hob der Mann das Handy auf.
* * *
»Valerie! Valerie, was ist passiert?«, brüllte Charly am anderen Ende. Wieder schossen Bilder von damals durch seinen Kopf, Bilder vom Bootshaus in Unterwallenstadt, wo Valerie sich stundenlang in der Gewalt eines Psychopathen befunden hatte.
Gelähmt vor Entsetzen hörte Charly plötzlich eine unbekannte, tiefe Männerstimme am anderen Ende.
»Hallo …? ‘tschuldigung … hier ist Tony Spohrer …«
»… lassen Sie sofort meine Tochter los, hier ist die Polizei, SOKO Franken in Coburg, ich bin der SOKO -Chef, lassen Sie sie sofort los …!«
»Ey, Alder, hast du noch alle Tassen im Schrank? Oder geht’s wirklich schon auf Vollmond zu? Ich hab den ganzen Abend mit meiner Band im Casablanca gespielt … und deine Tochter war doch auch drin, jetzt reißt sie schreiend aus, als sie mich hier draußen sieht! Mannomannomann; vorhin kriegt ein kleiner Bub einen Weinkrampf, als er mich aus dem Haus gehen sieht … leckt mich doch am Arsch, heut drehen doch wirklich alle hier am Rad …!«
Sonntag
21:58 Uhr – Coburg, Lossaustraße
Charly hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, an » SOKO -Sonntagen« den Spider zu Hause stehen zu lassen und zu Fuß ins Büro zu gehen. Für den Rückweg jetzt, von der Neustadter Straße an den Ölberg, bedeutete dies, bei strammem Tempo, eine gute Stunde: Endlich mal den Kopf auslüften, nach einem Zwölf-Stunden-Sonntag im Büro …
Durch die Lossaustraße fegte ein schneidender Wind. Charly vergrub die Hände tief in seiner Lederjacke. Mit einem Satz nahm er die vier Stufen zum Bahnhofseingang hoch. Die gefühlte Hälfte der Strecke war geschafft, jetzt den Bahnhof samt Unterführung durchqueren und dann, als kleine sportliche Einlage, den Judenberg hoch zum Plattenäcker und dann unterhalb der Berufsschule den Fußweg vor zum Hofbrauhaus.
Die Bahnhofshalle, kurz vor dem letzten Zug: alles andere als einladend. Neonlicht, schäbige alte Steinfliesen. Buchhandlung und Imbiss waren längst geschlossen. Zwei kurz geschorene schmächtige Jungs in ausgeleierten Kapuzenpullis lungerten vor dem dunklen Schalterraum. Ein ungepflegter alter Mann schlurfte schwerfällig vorbei, ohne Charly zu beachten. Er stank nach Fritteuse und brabbelte in einer unverständlichen Ostblock-Sprache vor sich hin. Die gesprungene Glastür, seit Wochen nur notdürftig mit einer Holzplatte gesichert, wie Charly mit wachsendem Ingrimm konstatierte.
Bahnhof Coburg, du alte Residenz-Schlampe: Dutzende gehen täglich über dich – doch du kriegst nur ‘nen neuen Lidstrich …
Die Absätze seiner Stiefel knallten durch die niedrige Unterführung, hämmerten monoton »So – phie, So – phie, So – phie …«. Sofort drängte sich der Fall wieder aus dem Unterbewusstsein herauf, schlagartig waren wieder sämtliche Fakten präsent:
Ann-Sophie Langenau, sechzehn Jahre, Schülerin der elften Klasse des Casimirianums Coburg.
Ein Meter sechsundsechzig, einundfünfzig Kilogramm, blonde glatte schulterlange Haare, dunkelbraune Augen, sehr grazile Figur.
»Coburgs größtes Tanztalent, seit Nora Henderson vor dreißig Jahren nach München ging« (Süddeutsche Zeitung)
Eltern: Dr. Sven Langenau, Gynäkologe, in zweiter Ehe verheiratet mit Vic Leduc Langenau (vietnamesische Staatsbürgerin, Stiefmutter). Ann-Sophies Mutter verstorben 2004 bei einem Unfall im Urlaub an der Côte d’Azur.
Ann-Sophie verließ am Freitag um sechzehn Uhr das Elternhaus am Ölsch in Scheuerfeld und fuhr mit dem Bus in die Stadt. Sie wollte in den Drogeriemarkt Müller in der Spitalgasse und sich um siebzehn Uhr im Café M mit ihrer Schulfreundin Anne treffen. Dort kam sie jedoch nie an. Ihr Handy ist ausgeschaltet. Kein Streit mit den Eltern, keine schulischen Probleme. Kein fester Freund. Sie fieberte laut Aussage der Eltern seit Tagen ihrem großen Auftritt entgegen: »Sie hat keine Angst davor, sie ist richtig stolz darauf, sie lebt nur für ihren Tanz … Schule, Training und dazwischen ihre Massage- und Kosmetik-Termine, sie tut alles für eine professionelle Performance!«
Dr. Sven Langenau, am Dienstag noch arroganter Akademiker, heute ganz der gebrochene Vater. Absolut nachvollziehbar – und trotzdem
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