Todesfessel - Franken-Krimi
Frau verkleidet! Der sich dafür extra lange blonde Haare aufsetzt! Der will anderen Leuten Angst einjagen, der will ihnen ganz sehr wehtun, der will sie totmachen … bass bloß auf, wenn du den siehst, renn ganz schnell weg und sag uns Bescheid! So, und jetzt geh noch a weng naus auf’n Spielplatz, der Tobi is doch auch draußen. Ich muss mit deiner Mama noch was Wichtiges besprechen …«
Mama kicherte seltsam und rückte näher an den Mann auf dem Sofa. Kevin drehte sich verwirrt um und trottete langsam hinaus. Auf dem Rasenstück neben dem großen Sandkasten saß Tobi gelangweilt auf seinem schwarz-gelben Ball. Freudig sprang er auf, als er Kevin sah.
»Ey, kommst du mit? Dort vorn … auf dem großen Garagenplatz … da daddsd der Ball doch so gut!«
Sie stürmten beide los, vom Vorplatz ihres Wohnblocks über die Danziger Straße schräg hinüber zu einem gepflasterten Innenhof, der an drei Seiten von Garagen umsäumt war.
»Da daddsd der Ball viel besser«, bekräftigte Tobi erneut.
»Nur die drei Kanaldeckel sind blöd, da verspringt er immer!«
Sie waren schon völlig außer Atem, als Kevin wieder einem versprungenen Ball von Tobi nachjagen musste, der Richtung Egerländer Straße rollte.
»Mann, des mach ich fei jetzt nimmer!«, japste Kevin und blickte sich suchend um.
Erst jetzt merkte er, wie dämmrig es inzwischen war. Ein ungutes Gefühl beschlich ihn. Weit drüben, im sicheren Hafen des Garagenhofs, stand Tobi, die Hände in die Hüften gestützt. Wo war nur der gelbschwarze Ball?
Vorsichtig spähte er um das dunkle Hauseck, den Blick fest auf den Boden gerichtet. Er fuhr erschrocken zusammen, als plötzlich die Haustür ins Schloss fiel, blickte hoch, sah eine Gestalt mit einem seltsamen Koffer auf sich zukommen, männlich, bedrohlich unrasiert, Jeansjacke – und ganz lange, hellblonde, lockige Haare!
»Ey, was suchst denn du?«, rief die Gestalt.
Kevin, der soeben den Schock seines Lebens erlitten hatte, stand nur noch stocksteif am Hauseck, klammerte sich heulend am Fallrohr fest und konnte den Blick nicht mehr lösen von dem Unheimlichen mit seiner grauenvollen, entsetzlichen blonden Frauenfrisur!
22:10 Uhr – Weißenburg, Niederhofener Straße
»Papa, hallo?«
»Valerie – hi!«
»Ja, hi! Ich wollte mich nur schnell bei dir melden … dass alles in Ordnung ist und so …«
»Schön! Wo bist du grad?«
»War grad im Casablanca, beim Ü30-Rock.«
Charly lachte. »Du, mit vierundzwanzig, beim Ü30-Rock?«
»Alles deine Schuld! Du spielst immer so alte Musik, Stones und so …«
»Des is ka alde Musik, des is zeitlose Musik! Kleiner Unterschied, Mäuschen! Bist du jetzt allein?«
»Ja, ich muss nur ein Stück laufen. Ein paar Häuser weiter, bis zum Brandenburger Hof. Dort hat die Sabine heut ein Abteilungsessen gehabt, mit der fahre ich jetzt gleich zurück.«
»Brandenburger Hof, wart amoll … is do ned des Amtsgericht in der Nähe?«
»Genau, das kommt jetzt auf der anderen Seite … hier herüben isses so richtig verlottert, fast unheimlich … ein leeres Haus, ein verwilderter Innenhof, eine dunkle alte Scheune … Hey, die Scheißnazis! Des gibt’s ja gar ned!«
»Was denn? Was machst denn du, Valerie?« Charly wurde unruhig. »Geh ganz normal zu Sabine! Keine finsteren Abkürzungen!«
»Mach ich doch gar ned! Stell dir vor, direkt gegenüber vom Weißenburger Amtsgericht, das springt jedem, der zum Gericht fährt, ins Gesicht! Ein großes Nazi-Graffito, diese Triskele da, von Blood and Honour …«
»Die sind schon seit 2000 verboten.«
»Eben! Und daneben steht riesengroß an der Wand ›Antifaschisten fisten‹. Das ist doch ein knallharter Aufruf zur Gewalt, ein Aufruf zur sexuellen Gewalt gegen Andersdenkende!«
»Valerie …«
»Ja! Und so was direkt gegenüber von einem Gericht, da fahren tagtäglich Richter und Staatsanwälte vorbei, das stört die überhaupt nicht, ey, das geht denen am Allerwertesten vorbei, die denken nur an die nächste Beförderung!«
Meine Tochter, dachte Charly in einem spontanen Anflug von Stolz und Zärtlichkeit.
* * *
Valerie war ganz an die Hauswand herangegangen und prüfte im schwachen Restlicht der nächsten Straßenlampe den Graffito-Untergrund. Das Graffito musste schon Monate, wenn nicht Jahre auf dieser Wand stehen.
Urplötzlich ein Rascheln im verwilderten Gestrüpp zwei Schritte neben ihr; zu Tode erschrocken sah Valerie eine große Gestalt im dunklen, verwilderten Hinterhof stehen, an der Hose nesteln – und
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