Todesfinal
war egal. Morlov wollte die Schmerzen in seinem Kopf ersticken und der Alkohol half ihm dabei.
Er ließ den Schnaps die Kehle hinunterrinnen und genoss das brennende Gefühl und die Betäubung, die sich in seinem Körper ausbreitete.
»Ich freu mich ja so, dass Sie heute noch hierhergekommen sind. Sonst würde der Kuchen ja schlecht werden. Mein Mann, der hat ja so viel zu tun mit seinem Bauen, dass er das überhaupt nicht würdigen kann.«
»Ihr Mann baut ziemlich viel.«
»Oh ja, er ist eigentlich immer am werkeln. Morgens wenn er aufsteht, denkt er schon daran, was er noch besser machen kann. Ich sage ihm immer, dass das krank ist, aber er hört einfach nicht auf mich.«
Morlov glotzte sie an. Das Bild wurde für einen Moment unklar. Hatte sie etwas in den Birnenschnaps getan? Oder war es einfach die Mischung: Kopfschmerztabletten, Alkohol und seine Übermüdung. Lederers Pullover war leicht nach unten gerutscht und legte mehr von ihrer Brust frei.
Morlov fiel wieder ein, was Panzer ihm gesagt hatte. Dass die Leute in dem Dorf hier denken würden, er sei ein komischer Perverser.
»Was denken die Leute hier von mir?«, fragte er.
Sie sah ihn erstaunt an. »Was meinen Sie?«
»Was denken die Leute hier von mir?«, wiederholte Morlov seine Frage. Die Lederer antwortete nicht, Morlov trank das kleine Schnapsglas, das Lederer wieder gefüllt hatte, auf einen Zug leer.
»Ich meine, was wird über mich geredet? Es wird doch hier sicher viel geredet.«
»Ach, das meinen Sie. Jeder hier sagt, dass Sie ein freundlicher Mensch sind, ganz ruhig und zurückgezogen. Der Schröder ist überzeugt, dass Sie so was wie ein Künstler sind, ein Schriftsteller vielleicht. Oder was mit Aktiengeschäften machen, Sie sind ja viel zu Hause.«
Ein Schriftsteller sollte er sein? Die Vorstellung gefiel Morlov. Ein Künstler, der sich zurückgezogen hatte. »Ein Schriftsteller also.«
Die Lederer nickte. »Ein Schriftsteller, der an seinem neuen Buch arbeitet.«
»An einem großen Buch«, sagte Morlov.
»An einem ganz außergewöhnlichen Buch«, sagte die Lederer.
»Und was denken die Leute hier über mein Sexualleben?«, fragte Morlov.
Lederer sah ihn fassungslos an. Diese Frage hatte sie nicht erwartet. »Was meinen Sie damit?«
»Na, wenn einer allein hier wohnt und vielleicht auch ein Schriftsteller ist, der an einem ganz außergewöhnlichen Buch arbeitet, dann kommen die Leute auf die verrücktesten Gedanken.«
»Ach, das meinen Sie.« Die Lederer winkte ab.
»Ob die Leute denken, dass Sie schwul sind. Das denkt nur Schröder. Weil so viele Künstler schwul sind.«
»Ich bin nicht schwul«, sagte Morlov.
»Natürlich nicht. Das habe ich auch zu Schröder gesagt. Der Herr Morlov ist ganz sicher nicht schwul, habe ich gesagt. Das merke ich doch daran, wie Sie mich ansehen.«
Sie lächelte ihn groß an. Ihre Züge verschwammen vor Morlovs Augen. Was war bloß mit ihm los? Der Birnenschnaps. Morlov gab sich einen Ruck. Er musste sich nur konzentrieren.
»Ich habe immer gesagt, dass Sie ein ganz außergewöhnlicher Mann sind«, sagte Lederer. »Und so intelligent. Seine Caches findet niemand«, habe ich zu Schröder gesagt. »Weil die normalen Leute so einem Genie eben nicht folgen können.«
Ihr Lächeln hörte überhaupt nicht mehr auf. Sie saßen in dieser riesigen Puppenküche und ihr Lächeln hörte nicht auf. Doch Morlov hatte auf einmal den Eindruck, als würde sich ihr Ausschnitt nach vorne schieben, größer werden, als führten ihre Brüste ein Eigenleben und kämen immer näher, oder war er es, der sich nach vorne beugte?
Sie küssten sich. Später konnte Morlov nicht mehr sagen, wie alles geschah, aber es war eine Tatsache, dass sie an seinen Lippen saugte und schwer atmete und manchmal Luft holte und »Simon, Simon« stammelte, womit er gemeint sein musste.
Und irgendwann lagen sie verschlungen auf dem hässlichen Boden ihrer Küchenstube und Morlov bewies, dass er nicht schwul, sondern ein ganz normaler Perverser war, wie all die anderen Perversen, die hier wohnten, und der fleischige Busen der Lederer klatschte auf sein Gesicht und Morlov versank darin wie in einem zähen, alles verschlingenden Sumpf.
•
Es klingelte. Das Geräusch drang an das Ohr des schlafenden Morlovs. Sein Kopf schmerzte, als würde der Lärm direkt in seinen Hirnwindungen entstehen. Es klingelte ein zweites Mal. Morlov öffnete die Augen.
Er befand sich in seinem Bett und das Erste, was in sein Bewusstsein kroch, war der
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